fm4.ORF.at ORF.at login
StreamPodcastsMail an FM4
zurück zur TitelseiteSOUNDPARK - Your Place for Homegrown MusicSTATION - alles rund um den RadiosendernotesCHAT
 | 21.11.2007 | 16:30 
L'Auberge FM4. Erfahrungsberichte zu eurem Auslandssemester aus allen Ecken - hauptsächlich - Europas.

 
 
L'Auberge FM4: Upstate New York
 
Name: Andreas Rainer

Heimatuniversität: Universität Wien
Gastuniversität: Bard College, Annandale on Hudson, Upstate New York
Studium: Doktoratsstudium Germanistik
Auslandsaufenthalt: Wintersemester 2007 und Sommersemester 2008
Position: German Teaching Assistant und Student mittels eines Fulbright Foreign Language Teaching Assistantship Stipendiums
 Alle Städte im Überblick
 
 
A place to think
  Zum zweiten Mal schon verschlägt es mich für die Dauer eines Jahres an die nordamerikanische Ostküste, nach dem Holocaust Centre in Montreal (2005) geht es diesmal nach Bard College in Annandale on Hudson, Upstate New York.

Als ich Ende August dort ankomme ist es unerträglich heiß, mein Zimmer hat in etwa die Größe eines Schrankes und in der Pizzeria im nächsten Ort verfolgen übergewichtige Amerikaner mit Baseballkappen ein Footballspiel.

Drei Stunden später habe ich mein Zimmer gegen ein größeres, richtiges Zimmer getauscht und die Pizza verdaut. Es ist immer noch unerträglich heiß.

Als Fulbright Teaching Assistant hat man praktisch keinen Einfluss darauf, in welchen Teil dieses gewaltigen Landes man geschickt wird, zwischen New York und Idaho ist alles möglich.

Drei Tage später denke ich schon, dass ich großes Glück gehabt habe.
 
 
 
Staring at the Sun at Bard
 
 
Liberal Arts in Amerika
  Bard verfügt über eine lange Tradition als eines der liberalsten Colleges im ganzen Land. Dies äußert sich nicht nur in einem freizügigen Umgang mit Drogen, Alkohol und public nudity (Studenten erscheinen manchmal sogar nackt im Unterricht) sondern auch in tagtäglich stattfindenden Vorträgen, Diskussionen, Filmvorführungen, Theaterstücken, Tanzaufführungen, Kunstausstellungen und vielem mehr.

Zu erwähnen ist hierbei, dass an Bard nur um die 1600 Studenten zugelassen sind. Das in der Hudson Valley und direkt am Hudson River gelegene College versinkt derzeit in einem Meer aus Blättern, welche sämtliche Schattierungen von rot, gelb und grün umfassen, die es jemals auf diesem Planeten gegeben hat. Um es kurz zu machen: Bard ist winzig und in the middle of nowhere, das Verhältnis Blatt zu Mensch ist in etwa eine Million zu eins.
 
 
 
Autumn Roads at Bard
 
 
  Inmitten dieser Einsamkeit sind die Studenten gefordert selbst für Unterhaltung zu sorgen, was mittels der oben erwähnten kulturellen Veranstaltungen geschieht. Wenn man dann doch einmal genug von all den Bäumen und Blättern hat dann fährt man einfach ins nur zwei Stunden entfernte New York, kommt dann aber schnell wieder zurück in die Seifenblase Bard und genießt die Abgeschiedenheit von allem Schlechten dieser Welt.
 
 
 
Bard-Shuttle Stop
 
 
Bard als Lehrer: Deutschunterricht mit Wir sind Helden
  Meine Hauptaufgabe an Bard besteht im Unterrichten der schönen Sprache Deutsch. Überraschenderweise gibt es hier tatsächlich knapp 30 Deutschstudenten, denen ich in Kleingruppen jede Woche zusätzlich zu ihrem Deutschkurs versuche, Sprache und Kultur zu vermitteln. Meine Studenten machen es mir recht einfach, wer in Amerika Deutsch studiert muss wohl WIRKLICH an der Sprache interessiert sein. Glück für mich, denn Bard ist meine erste Station als Deutschlehrer. Und so zeige ich also Videos von Wir sind Helden oder lese mit den Studenten Artikel aus der Kronen Zeitung (eignet sich aufgrund ihrer Einfachheit großartig für Anfänger die kein Wort Deutsch sprechen).

Die Rolle des Teaching Assistant ist in Amerika nicht ganz klar definiert und wird von Individuum zu Individuum und von College zu College anders ausgelegt. Ich persönlich fühle mich alleine schon aufgrund des recht geringen Altersunterschiedes zu meinen Studenten eher dazu hingezogen am Wochenende mit ihnen das eine oder andere Bier zu trinken, als mit anderen Professoren zu überlegen what we will do with ourselves this afternoon? And the day after that, and the next thirty years?
 
 
 
German Class at Bard
 
 
  Glücklicherweise wird meine, an vielen anderen Colleges undenkbare, Auslegung des Jobs hier voll akzeptiert, und so durften meine Studenten auch schon von mir organisierte außerschulische Veranstaltungen wie zum Beispiel eine Deutschparty mit deutschem Bier genießen. Man soll ja beim Trinken auch etwas über die Kultur des anderen Landes lernen. Nächstes Semester soll dann mein Großprojekt starten, die Aufführung eines deutschen Theaterstücks, von den Studenten und mir geschrieben, gespielt und inszeniert...
 
 
 
Bard als Student: Fitzgerald, Faulkner & Co.
  Mein Fulbright Stipendium verpflichtet mich dazu, auch selbst zwei Kurse pro Semester als Student zu belegen. Mir wurde schnell klar, dass die Unterschiede zwischen Bard und der Universität Wien, an der ich meine akademische Ausbildung genossen habe, gewaltig sind.

Nicht nur bietet das im Nirgendwo gelegenen Bard fast jeden Tag Veranstaltungen mit renommierten Künstlern, Politkern oder anderen interessanten Menschen (eben erst war etwa Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk für einen Vortrag zu Besuch), auch das Niveau des Unterrichts ist ein ganz anderes. Die meisten europäischen Studenten haben anfangs große Probleme sich an die viel höheren Anforderungen und die gewaltige, Woche für Woche zu absolvierende Lesemenge zu gewöhnen. Die Klassen umfassen außerdem nie mehr als 20 Studenten, meine Professoren kennen also tatsächlich nicht nur meinen Vornamen sondern wissen auch genau über meine Stärken und Schwächen bescheid.

Bard ist laut den jährlich durchgeführten College Rankings eines der besten Liberal Arts Colleges im Lande. Dies ist hier natürlich nicht umsonst: Für ein Jahr Bard müssen die Studenten unglaubliche 40.000 Dollar pro Jahr bezahlen. Qualität fordert hier definitiv ihren Preis, allerdings gibt es etliche Stipendien, die den Traum Bard auch für einige Studenten mit weniger wohlhabenden Eltern möglich machen.
 
 
 
View on the Hudson River
 
 
  Heute Morgen ist es schon so kalt, dass man den ersten Schnee förmlich riechen kann. Noch versteckt er sich aber zwischen all den roten Blättern, die den Studenten dabei zusehen wie sie erwachsen werden. Ich muss heute die Klasse einer Deutschprofessorin übernehmen und gehe im Geist noch einmal die vor mir liegende, im Zeichen von Dürrenmatt stehende Stunde durch. Während ich mit einem, schrecklich schmeckenden, Kaffee in der Hand Richtung Klasse über den Campus marschiere und einer Studentin dabei zusehe, wie sie ohne Musik und Anlass über die Wiese tanzt, kommt mir ein Zitat von Fitzgerald in den Sinn, das wie kein anderes den Geist von Bard zusammenfasst:

"His was a great sin who first invented consciousness. Let us lose it for a few hours..."
 
 
 
Deine Erfahrungen - Dein Text!
  Du warst selbst für längere Zeit in Upstate New York, oder hast dort sogar studiert? Willst dem hier noch etwas hinzufügen, einen ganz speziellen Tipp loswerden oder vor einem gern gemachten Fehler warnen? Das Forum hier unten ist der richtige Platz dafür!

Und falls du zumindest ein Uni-Semester in einer anderen Stadt verbracht hast: Schick uns doch einen eigenen Text mit deinen Erfahrungen! Alle Infos dazu findest du [hier].
 
fm4 links
  Wikipedia: Annandale on Hudson

Bard College

Bard College: International Students

Fulbright: Austrian-American Educationel Commission

fm4.orf.at/auslandssemester
L'Auberge FM4 - Alle im FM4 Auslandssemester porträtierten Städte auf einen Blick
   
 
back
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick