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Wien | 9.11.2008 | 10:36 
Bits, Beats and Breaks.

Gerlinde, Glashuettner, Trishes

 
 
Ísland, EVE und die Ökonomie
  Seit eineinhalb Jahren erforscht der isländische Ökonom Dr. Eyjólfur Guðmundsson die Ökonomie einer weltweiten Bevölkerung, die etwa so groß ist, wie die Islands: Die Rede ist von der Wirtschaft des komplexen Rollenspiels "EVE Online". Ich habe mit Guðmundsson über EVE, Island, die aktuelle Finanzkrise und was wir von der Ökonomie eines Onlinerollenspiels lernen können, gesprochen.
 
 
 
  Zu Beginn ihrer Diskussionsrunde haben Sie gesagt, sie hätten den besten Job der Welt. Was ist der Grund für ihre Begeisterung?

Nun, erstens bin ich Ökonom. Ich liebe es, menschliches Verhalten zu studieren, basierend auf den Entscheidungen die sie machen. Mit EVE Online habe ich eine Welt, in der hunderttausende Menschen entscheiden: Womit handle ich, was produziere ich, was kosumiere ich.

Ich habe vor kurzem einen anderen Wissenschafter interviewt, Tom Boellstorff, Autor des Buches "Coming Of Age In Second Life". Er sagt, er unterscheide nicht zwischen "virtueller" und "realer" Welt. Würden sie dem zustimmen?

Absolut. EVE Online ist wie eine große Telefonkonferenz. Menschen kommen durch technische Geräte zusammen, und sie entscheiden, wie sie dort ihre Zeit verbringen. Sie tun das in EVE auf Grund der gleichen Prinzipien wie in anderen Lebensbereichen.

Gab es bei ihren bisherigen Studien der EVE-Ökonomie etwas am Verhalten der Menschen, dass sie völlig überrascht hat?

Was mich überrascht hat war, wie schnell die User ihr Verhalten anpassen, auch wenn man auch nur eine Kleinigkeit am Markt verändert.

 Eyjólfur Guðmundsson
 
 
  Letztes Jahr war hier Jessica Mulligan zu Gast, Games-Forscherin und Virtual World Expertin. Sie sagt, dass die Entwickler von Onlinewelten Götter dieser Welten sind, denn sie kontrollieren die physikalischen Gegebenheiten und die Regeln. Nun soll EVE den Spielern Spaß machen - mussten sie als Chefökonom dieser Welt auch schon einmal eingreifen, die "Welt zurechtbiegen", um diesen Spaß zu garantieren?

Ich stimme nicht mit Jessica überein, dass wir Spieleentwickler Götter sind. Wir sind die Hausmeister von EVE. Wir machen sauber und sorgen dafür, dass es - wie sie gesagt haben - Spaß macht. Wenn wir eingreifen in die Wirtschaft, könnten wir sie schnell zerstören. Ist es meine Aufgabe, für den Spaß zu sorgen? Nun, Ökonomie ist Spaß. Ich sehe das daran, wieviele EVE-Piloten das Game ausschießlich als Wirtschaftssimulation spielen. Wir müssen sicherstellen, dass es genug Gelegenheiten gibt, Profit zu machen. Wir tun das, indem wir die Information limitieren, wo es Profit zu holen gibt. Also muss man die Information suchen, und wenn man Möglichkeiten herausgefunden hat, organisiert man Transporte usw. Ein perfekter Markt mit perfekten Möglichkeiten würde keinen Spielspaß bereiten.

Vor zwei Tagen habe ich mit dem Koch eines Restaurants in Reykjavik gesprochen. Er meinte, er spiele EVE seit viereinhalb Jahren aber käme heuer das erste mal nicht zum jährlichen "EVE Fanfest", weil man den Eintritt nur in US-Dollar bezahlen könne - und das sei beim stark gefallenen Wert der Isländischen Krone (ISK) einfach zu teuer.

Er ist im Irrtum, wir haben vor einigen Tagen einen speziellen Eintrittspreis in der heimischen Währung angekündigt. Unser Fehler, dass wir das nicht gut genug kommuniziert haben.
 
 
 
Reykjavik
 
 
  Die isländische Finanzkrise wurde durch die globale Krise ausgelöst. Aber warum hat es Island eigentlich so hart erwischt, dass man gleich Schlagzeilen wie "Island vor dem Staatsbankrott" las?

Das ist eine aufregende Schlagzeile. Aber: Staaten gehen nicht bankrott. Banken schon. In Island sind die drei größten Banken pleite gegangen. Der Hauptgrund dafür war, dass die Banken sehr viele Schulden hatten. Sie haben sich auf Aktien verlassen, und sie haben Geld verliehen, das sie eigentlich nicht hatten. Am Ende waren die Schulden der drei Banken viel höher, als das Bruttonationalprodukt Islands. Etwa sieben- bis achtmal höher. Daher fehlte das Vertrauen, dass der Staat den Banken, die in Schwierigkeiten sind, den Rücken stärken kann. Man kann also sagen: Der Grund dafür, dass die isländische Währung in einem Monat mehr als die Hälfte ihres Weres eingebüßt hat, ist das Fehlen von Vertrauen. Die Welt vertraut nicht darauf, dass die Isländische Krone eine gesunde Währung ist.
 
 
 
  Wie wirkt sich die Finanzkrise auf CCP, die Betreiberfirma von EVE Online, aus?

CCP ist von der Krise unbeeinflusst, denn Einnahmen der Firma bestehen zu 99,9% aus Fremdwährungen, hauptsächlich US-Dollar und Euro. Streng genommen "nützt" uns die Krise im Moment sogar, denn wir bezahlen unsere Leute in Kronen. Dasselbe gilt auch für die Fischerei oder jede andere exportierende Industrie - denen geht es sehr gut. Die Produktion in Island läuft wie gewohnt, nicht alle hier gehen pleite - es sind die Banken, die pleite gegangen sind. Was sich verändert hat ist, dass die Inflation ein gutes Stück gestiegen ist, und das wird auch für einige Monate so sein. Die Menschen werden den Kauf von Luxusgütern zurückschrauben müssen, auf das neue Auto verzichten oder den tollen neuen Flachbildschirm. Aber die grundlegenden Dinge sind ungefährdet: Die gesamte Elektrizität Islands wird lokal produziert, ebenso die geothermische Beheizung der Häuser. Nahrungsmittelversorgung und Telekommunikation sind stabil.




 
 
  Vorgestern habe ich einen Taxifahrer gefragt, wie es ihm geht. Er hat gesagt: "Die Krise beeinflusst mich nicht. Das Auto gehört mir. Das Haus, in dem ich mit meiner Familie lebe, gehört mir. Ich habe auch ein Motorrad. Schlechter geworden ist einzig die Zahl der Taxikunden - etwas 25 Prozent weniger. Aber das ist nicht schlimm." Ich war überrascht! Ein Minus von 25 Prozent würde ich doch für eine dramatische Auswirkung halten. Warum bleibt der Taxifahrer so gelassen?

Das liegt an der isländischen Mentalität. Er hatte vorher wahrscheinlich 150% der Kunden, die er brauchen würde. Also denkt er sich: Zeit, zu entspannen. Aber es gibt Menschen, die die Krise stärker spüren: Jene zum Beispiel, die einen Fremdwährungskredit genommen haben. Im Oktober haben sehr viele Bankangestellte ihre Jobs verloren. Bauarbeiter aus dem Ausland stehen ohne Arbeit da und kehren in ihre Heimatländer zurück. Der Winter wird hart, zweifellos. Aber Isländer sind harte Zeiten gewohnt. Wir leben in einem Land, das jederzeit explodieren kann, denn es sind mehrere aktive Vulkane hier. Das Wetter ist extrem. Das Land hat eine jahrhundertelange Geschichte des Kampfes gegen die Natur. Für uns ist diese Finanzkrise ein weiterer Kampf, den wir aufnehmen müssen.
 
 
 
  Was können wir aus der Spiel-Ökonomie virtueller Welten wie "EVE Online" lernen?

Die Wirtschaft in EVE ist vollkommen kapitalistisch. Wir sehen darin zum Beispiel, wie schwierig es für Spieler ist, Banken zu etablieren - und zwar deshalb, weil in einem solchen System Vertrauen schwierig aufzubauen ist. Das Vetrauen fehlt, weil keine Regierung hinter den Banken steht. Wir lernen von diesem Modell, wie streng Regierungen Banken regulieren müssen - das hat in den USA und in Island gefehlt.
 
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Internet-Raumschiffe und deren weibliche Piloten: Eine virtuelle Weltraumpolitikerin meldet sich zu Wort.

Onlinewelten: EVE
Leben im Weltraum: Das ungewöhnliche Erstlingswerk des isländischen Indie-Developers CCP gedeiht seit fünf Jahren.

Ísland outside
Nach drei Tagen Messehalle wage ich mich in die rauhe Natur der Vulkaninsel.

www.eve-online.com

EVE Fanfest 2008
   
 
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