Avatare, Party-Modus und mehr: Das lang erwartete Online-Update der Xbox 360 ist da.
Vormittag
Die Türen der U-Bahn gehen auf. Ich quetsche mich ins Wageninnere und suche einen Sitzplatz. Eine ältere Frau blickt angestrengt auf das Display ihres Handys. Ich setze mich hin und sehe gegenüber einen jungen Mann, der Textnachrichten schreibt, und ein anderer liest offensichtlich eine Website auf seinem Gerät. Daneben spielen zwei Schüler mit ihren Handys. "Lustig, denke ich mir. Fünf Leute nebeneinander, die intensiv mit ihrem Mobiltelefon beschäftigt sind, aber nicht telefonieren. Das Handy als mobiler Computer ist endgültig angekommen." Just in dem Moment fällt mir auf: Das mp3, dem ich gerade lausche, tönt auch aus meinem Smartphone. Sechs Leute also. Einer der spielenden Buben sagt zum anderen: "Schau mal, wo ich grad bin." Er zeigt ihm den Bildschirm, auf dem irgendein Jump'n'Run-Game zu sehen ist. Beide lachen.
Der Junge hat nicht gesagt "wo meine Spielfigur gerade steht", oder "wo man da hinlaufen kann". Sondern: "Wo ich gerade bin". Auf dem Screen entsteht virtueller Raum, und es ist egal, auf welcher Art von Gerät das geschieht, oder wo in der physischen Welt man sich befindet. Der Avatar ist das Interface.
Nachmittag
Endlich zuhause. Ich schmeiße die Konsole an. "Xbox Live" habe ich seit 2004 genutzt - zuerst skeptisch, später überzeugt. Im Vergleich mit dem Jahre später eingeführten, kostenlosen Playstation Network, bietet der Bezahlservice Xbox-Live Stabilität, Freundeslisten und bequemen Einstieg in Multiplayergames, sogar mit Fremden. Angesichts der kryptischen Kontaktaufnahme mittels Nummerncodes bei Nintendos Onlinedienst "Wii Wireless" ist Xbox Live eine Wohltat. So mancher Gamer fühlt sich hier seit 6 Jahren "zu Hause", während Sony über Ankündigungen der Virtual-World-Platfform "Home" noch nicht hinausgekommen ist.
Nur - früher oder später werden die "Home"-Server online gehen, also die Avatare auf dem Fernsehgerät landen. Und Nintendo's Wii-Konsole hat bereits die schnuckeligen Mii-Figuren, dazu ausserdem die elegante Fernbedienungs-Steuerung, die über so manches Ärgernis der inkonsequenten Onlinestrategie Nintendos hinwegsehen lässt. Ergo: Auch die Xbox braucht Avatare, so hat man sich das bei Microsoft gedacht. Und bei der Gelegenheit spendieren wir Xbox Live doch auch gleich ein paar neue Funktionen, die sich die Spieler schon seit längerem herbeisehnen.
Zuerst das Gute
Die neuen Funktionen, auf die wir gewartet haben: Die Bildung von Gruppen bzw. Clans noch vor dem Einstieg in ein Spiel. "Party" heißt eine solche Gruppe. Sie kann bis zu 8 Teilnehmer haben, und die Spieler bleiben zusammen, auch wenn sie beschließen, von "Halo" zu "FIFA" zu einer Partie "UNO" zu springen. Das funktioniert so lange wunderbar, bis ein Spiel nach einem Update schreit - in diesem Fall wird der Teilnehmer von Xbox Live getrennt, nach dem automatischen Update aber sofort wieder mit der Party verbunden.
Die zweite Neuheit: Xbox-Spiele können von DVD auf die Festplatte der Konsole installiert werden. Auch nicht schlecht. Für europäische User nicht vefügbar ist die dritte große Neuerung: Die Fusion des Film- und TV-Serienkanals der Xbox mit dem Online-Dienst Netflix. Über hunderttausend Filme und Episoden stehen den amerikanischen Xbox-Live-Usern über Netflix zur Verfügung. Wahrscheinlich ganz praktisch. So. Aber was hat es jetzt mit diesen Avataren auf sich?
Avatare
Da steht es nun. Mein Burstup-Männchen. Vor dem Menü, das "My Xbox" heißt. Ich bewege den linken Stick des Controllers. Ein anderes Menü geht auf, und mein Avatar ist weg. Zurück zu "My Xbox". Ich bewege den rechten Stick des Controllers. Mein Avatar bewegt den Kopf.
Und das wars. Raum? Herumgehen? Die Gegend erkunden? Nix da. Was ich auch tue, mein Xbox-Avatar bleibt angenagelt auf der "My Xbox"-Seite. Ich aktiviere den "Party"-Modus und lade Kollegen Vibemaster ein. Jetzt stehen wir zu zweit da. Ich wackle mit dem Kopf.
"Siehst du das?", frage ich? "Nein." Der Kollege sagt, er wackle mit dem Kopf. Aber ich sehe es nicht.
Microsoft hat die beiden wesentlichen Elemente, die den Avatar sinnvoll machen, entweder nicht begriffen, oder - was wahrscheinlicher ist - bewusst ignoriert. Ein Avatar macht Sinn, wenn er erstens die menschliche Interaktion intensiviert, und zweitens, wenn er das synchrone Erleben virtuellen Raums ermöglicht. Im Fall des neuen Xbox-Avatars funktioniert beides nicht. Er ist keine Schnittstelle, sondern eine Schaufensterpuppe. Neues T-Shirt gefällig?
Games im Onlineshop.
Da hilft auch wenig, dass manche Xbox-Spiele jetzt Avatare ins Bild einblenden. Manchmal geht's, manchmal nicht. Zu unlogisch, wie übrigens auch die Sprachlokalisierung: Meine Konsole, obwohl englischsprachig konfiguriert, zeigt nun eine Mischung aus englischen ("Friends") und patscherten deutschen Begriffen ("Spiel-Marktplatz"). Das Sprachengewirr ist vielleicht eine Kinderkrankheit, wie auch die zahlreichen Fehlermeldungen beim Versuch, neue Inhalte downzuloaden. Keine Kinderkrankheit ist aber wohl das aufgeblasene Design: Anstatt schlanker Menüs werden wir jetzt von großen, schräg ins Bild gestellten Grafiken erschlagen, die jedoch eine räumliche Erkundung nicht zulassen - weder 2D, noch 3D, nicht Fisch, nicht Fleisch. "Ich will das alte Dashboard zurück", sagt mir ein 16jähriger Spieler. Kein Problem: Mit einem Druck auf die Xbox-Taste des Controllers geht ein Menü auf, das die elegante Funktionalität der alten Oberfläche bietet. Fazit: Im Vergleich mit den konkurrierenden Onlinesystemen "Playstation Network" und "Wii Wireless" schneidet "Xbox Live" nach wie vor benutzerfreundlicher und stabiler ab. Einige Neuerungen, insbesondere die Gruppenfunktionen, sind willkommen. Mit der Einführung von Avataren aber, die außer lieb schauen und in der Gegend herumstehen, keinerlei Funktionalität bieten, hat Microsoft eine Chance vertan.