Seit dem Wochenende ist die Beta-Testversion von Sonys virtueller Welt "Playstation Home" frei zugänglich.
Schenkt man der Metaverse Roadmap Glauben, dann entwickelt sich das Internet in den nächsten Jahren so: Mirror Worlds werden die Realität im Internet dreidimensional abbilden (z.B. Google Earth, Microsoft Virtual Earth), Virtual Worlds schaffen zusätzlich künstliche Räume (z.B. Second Life, Open Simulator), Lifelogging dokumentiert das Handeln und das Wissen der Menschheit in der phyischen, der gespiegelten und der virtuellen Welt, und Augmented Reality Anwendungen verknüpfen die Informationen aus allen dreien auf diversen (mobilen) Endgeräten. Darum, und wohl auch weil die Nutzerbasis von Linden Lab's "Second Life" sich im Jahr 2008 wieder verdoppelt und die Qualität des dort gebotenen sich spürbar gesteigert hat, wollen viele Unternehmen am Kuchen rund um das entstehende "Metaversum" mitnaschen.
Videospielehersteller sind naturgemäß interessiert, denn sie haben die Fähigkeiten, grafische 3D-Umgebungen zu erstellen, Erfahrungen mit Onlinecommunities und eine technisch interessierte, verspielte Kundschaft. Im Falle Sonys heißt das Virtual-World-Experiment "Playstation Home", läuft auf der aktuellen Version der Konsole und ist seit einigen Tagen für jedermann zugänglich.
Es war im Jahr 2005, als ich ersten Mal den Wunsch nach einer "sozialen" 3D-Welt auf einer Videospielkonsole gespürt habe. Die Xbox war schon seit einigen Monaten online. Auf dem Bildschirm ein intensiver Zweikampf in einem Shooter, bei dem es nicht schlecht um meine Chancen stand. Plötzlich hielt mein Gegenspieler inne und meinte: "Hey, soll ich dir mal was zeigen?". Er führte mich an einen Platz, machte ein paar seltsame Verrenkungen und flog mehrere Dutzend Meter durch die Luft - ein spaßiger Programmfehler, jederzeit rekonstruierbar und die Initialzündung für eine langjährige Onlinefreundschaft: Von nun an trafen wir uns in Spielwelten gelegentlich, um zu reden, anstatt aufeinander zu schießen. "Schade eigentlich", sagte ich damals zu Kollegen Glashüttner, "dass es auf Videospielkonsolen keine sozialen 3D-Plattformen gibt, die ohne Wettkampf auskommen". Freilich entdeckte ich im selben Jahr die PC-Version von Second Life und war von deren Komplexität beeindruckt. Denn Linden Lab verstand eine virtuelle Welt nicht nur als soziales Netzwerk, sondern auch als künstlerische Plattform: Die Möglichkeit für alle User, eine 3D-Welt selbst zu gestalten und zu programmieren stand im Mittelpunkt von Linden Labs Strategie, und bald wurde aus SL eine so vielfältige wie missverstandene Plattform. Denn was sie von allen anderen virtuellen Welten unterscheidet, ist so einfach wie ungewöhnlich: Linden Labs Geschäft besteht nicht im Verkauf virtueller Güter, sondern in der Vermietung von (sehr realen) Servern. Wer unbedingt virtuellen Ramsch kaufen will, kann das zwar auch in Second Life tun - von anderen Usern nämlich -, er kann die Dinge aber genauso gut selbst konstruieren, wie auch die gesamte Umgebung und das Aussehen des eigenen Avatars. Die virtuelle Welt als Sandkiste, analog dem Web.
Solche Überlegungen haben in der Strategie zu "Playstation Home" vielleicht eine Rolle gespielt - in das fertige Produkt eingeflossen sind sie aber nicht. Schon bei der anfänglichen Gestaltung des Home-Avatars wird klar, dass Kreativität hier eher unerwünscht ist: Zur Wahl stehen Mann oder Frau, dem Aussehen nach etwa zwischen 20 und 40 Jahre alt. Ich hätte mich ja gerne in eines dieser antropomorphen Katzenwesen verwandelt, in Manga und Anime "Neko" genannt. Mit solch einer Vorliebe heißt es draußen bleiben. Was ist mit Kinderavataren oder Großmüttern? Hunden, Wölfen, Drachen? Gab es da nicht einmal Cyberpunk, vielfältig, wild und unberechenbar?
Home ist aufgeräumt und sauber. Da stehe ich also und bin fesch, so fesch wie alle anderen. Vom Apartment gehts auf den "Central Plaza", der zu einem Kino mit Werbefilmchen führt, in eine Bowlinghalle und zurück in den Wohnblock.
Das Hilfe-Menü erklärt mir, dass ich die Kamerapositionen wechseln kann - es gibt derer aber nur zwei, First Person View ist nicht vorhanden. Ein anderer Knopf ruft die Karte auf, in der zwei ausgewählte Schauplätze populärer Videospiele erscheinen (in der US-Version eine Map aus "Farcry 2" und die Bar aus "Uncharted", die EU-Server funktionierten während meines Tests nicht). Dass die Sony-Welt im Lauf der Zeit mit immer mehr Räumen aus Videospielen erweitert wird, ist wohl der spannendste Aspekt an "Home", denn diese können nicht nur als Werbe-Vehikel, sondern auch als Schnittstelle in Multiplayer-Games dienen. Mehr gab es dann aber auch nicht zu entdecken - langweilig nach nicht einmal einer Stunde.
Es ist ein bisschen absurd: Während das von Kritikern zurecht gelobte Sony-Game Little Big Planet mit vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten glänzt (und dafür vom Sony-Marketing mit dem dümmlichen Begriff "Gaming 3.0" behaftet wurde), hat die soziale 3D-Plattform "Home" nichts von dieser Freiheit. Kreativität ist hier so wenig erwünscht wie im "Habbo Hotel". Es geht um Content Sales.
Der überstrapazierte Vergleich zwischen den virtuellen Welten von Sony und Linden Lab ist gerade deswegen zulässig und sogar sehr sinnvoll: Playstation Home verhält sich zu Second Life nämlich so, wie die Homepage von Sony zum World Wide Web.
Oder:
Playstation Home ist proprietär, läuft auf nur einem Gerät, die eingeblendeten Videos sind Werbung, es verfügt über keine Programmiersprache und der 3D-Content kann nicht selbst konstruiert werden.
Second Life ist Open Source, läuft auf drei Betriebssystemen (Linux, MacOS, Windows), kann mp3-, Quicktime- und Youtube-Formate streamen, verfügt über eine eingebaute Programmiersprache auf Basis von Mono/.NET, und der gesamte 3D-Content kann von den Usern konstruiert werden. Aufgeräumte Vorstadt versus Wilder Westen. Ich weiß, wo ich zuhause bin.