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Wien | 29.12.2008 | 19:17 
Bits, Beats and Breaks.

Gerlinde, Glashuettner, Trishes

 
 
Rewind '08: Metaversum
  WWW, Web 2.0, Web 3D, virtuelles, physisches und inflationär gebrauchtes.
 
 
 
  Der 2004 geprägte, irreführende Begriff "Web 2.0" beschreibt eine veränderte Wahrnehmung des World Wide Web: Die eines Netzes, in dem anstelle von Großkonzernen eine Vielzahl an Usern Inhalte entwickelt, gegebenenfalls auch gemeinsam. Irreführend deshalb, weil "die User" all das natürlich schon zu Beginn der neunziger Jahre im Web, und zuvor mit Usenet, FTP oder Gopher taten - weshalb der Begriff auch vom Erfinder des WWW, Tim Berners-Lee, abgelehnt wird: "Web 2.0 ist nutzloses Blabla".

Tatsächlich wollten Großkonzerne Mitte bis Ende der Neunziger aus dem Web ein passives Konsumgut machen und - und wurden für ihre Ignoranz mit dem Platzen der sogenannten "Dotcom Bubble" bestraft. "Web 2.0" steht also für einen Bruch in der Wahrnehmung des Internet ab dem Jahr 2000, obwohl es in Wirklichkeit eine kontinuierliche Entwicklung gab - immer komplexere Applikationen mit immer interessanteren Communities. Myspace, Facebook oder Youtube gehören dazu, stehen aber auch in der Tradition wesentlich älterer Plattformen - ich sage mal von mp3.com (in seiner nichtkommerziellen Originalvariante), der Black°Box und vieler anderer BBS-Systeme die später ins Web migrierten, oder diverser Real Video Applikationen.

 
 
Schau mal
  "Look what I made" heißt es im Refrain des sehr schönen Tunes The Little Newbie von Alienhearts, der auf Youtube nur wenige Zugriffe verzeichnet, bei Live-Shows in Second Life dafür umso mehr begeistert. Natürlich kann man auch Second Life als "Web 2.0"-Anwendung bezeichnen (in diesem Fall die dritterfolgreichste nach Myspace und Facebook) - doch das wäre so rückwärts gerichtet wie die gesamte Diskussion rund um den dümmlichen Begriff eben ist. Das "Schau her, was ich gemacht habe", das mir 2008 mit Menschen in frei gestaltbaren virtuellen Welten begegnet, gehört zum Kern dessen, was Innovation im Internet 2008 ausmacht: Synchrones Erleben dessen, was frau konstruiert, porgrammiert oder komponiert. Kollaborative Kreativät in Echtzeit, im virtuellen Raum.
Anfang 2008 hat es der kalifornische Anthropologe Tom Boellstorff so gesagt: "Obwohl wir immer vom Informationszeitalter sprechen, sind wir im Zeitalter des digitalen Kunsthandwerks." Das gilt natürlich auch für Youtube, eine Plattform, die wie viele andere auch schon längst Einzug in virtuelle 3D-Welten gefunden hat, dort streamt man die Filmchen halt auf eine Leinwand und genießt sie gemeinschaftlich. Nachzulesen ist auch das in Boellstorffs Buch Coming of Age in Second Life, der ersten anthropologischen Studie des 3D-Netzes.
 
 
 
Engagement
  Was mir heuer besonders stark aufgefallen ist: Die Savants, Künstler und Querdenker, die einander im Metaversum begegnen, helfen einander intensiver als im World Wide Web. Frei gestaltbare 3D-Welten sind so komplex, dass sie alleine kaum zu begreifen sind. Getroffen habe ich darin heuer besonders viele Musiker: Eine gute Begegnung etwa mit Miss Djax, Techno-DJ und Betreiberin des Plattenlabels Djax Up Records. Auch ständig da: Autoren, Maler, Animationskünstler, Musiker, Radiomenschen oder Filmemacher. In vielen Begegnungen habe ich gehört, was ich selbst schon seit längerem fühle: Wer einmal an einem gemeinsamen Kunstprojekt in SL teilgenommen hat, dem kommt die Zusammenarbeit im herkömmlichen Web (2.0 oder was auch immer) weniger intensiv vor. Dusan Writer schlägt in seinem Blog vor, statt des oft gebrauchten Worts "Metaversum" (das aus Neil Stephensons SciFi-Roman "Snowcrash" stammt) den Begriff "Immersives Internet" zu verwenden. Überlegungen, welcher Begriff passender ist, haben wohl keine Rolle gespielt bei der Verleihung des Technology & Engineering Emmy Award an Second Life im Jänner 2008.

 
 
  Virtuelle Second-Life-Banken ohne tatsächliche Banklizenz: Seit heuer sind sie Geschichte. Verboten wurde auch exzessive Werbung auf sogenannten "Ad Farms", die hauptsächlich dazu dienten, Nachbarn zu stören und zum überteuerten Landkauf zu motivieren. Mehr Seriosität also, und ohne Werbung schaut das Mainland von Second Life auch gleich viel schöner aus. Allerdings spielt sich das Leben woanders ab, nämlich auf privaten Inseln, und wie in der physischen Welt an neuralgischen Punkten, an Plätzen, von denen Menschen wissen, dass sie dort ihre Freunde und Gleichgesinnten antreffen werden. Die Zahl der privaten Regionen in Second Life hat sich heuer verdreifacht, unter anderem auch auf Grund der zuerst umstrittenen Einführung billigerer Server mit geringerer Leistungsfähigkeit. Sie hat auch zu einem Preisverfall des Mainlands geführt, bis Linden Lab im November die Notbremse zog: Die Preise werden 2009 wieder kräftig angehoben, der Ärger vieler User über wankelmütige Entscheidungsträger bei Linden Lab ist groß. Dennoch ist die Zahl der interessanten Communityprojekte größer denn je: Die reale Stadtgemeinde, die ihre Bürger motiviert, das zukünftige Design eines (phyischen) Parks zuerst am Second-Life-Simulator zu erstellen: heute nicht einmal mehr eine Schlagzeile auf heise.de, denn es ist ganz normal. Stellt sich die Frage: Könnte man kollaboratives Landschaftsdesign nicht besser in der Google Earth machen?
 
 
 
Google
  Wien auf der Google Earth erhält immer mehr 3D-Modelle, erstellt haben viele davon Studenten der Technischen Universität Wien, gratis mit Google Sketchup. Nett von den Usern, gut für Google - aber was der Earth noch immer fehlt ist der Avatar, und der ist eben Schnittstelle für kollaboratives Arbeiten. Nicht weil man damit herumlaufen kann, sondern weil andere User an meinem Avatar sehen, was ich gerade tue. Avatare hat Google anderswo ausprobiert, nämlich bei "Lively". Das ist allerdings ordentlich schiefgegangen: Patscherte Steuerung, Pseudo-3D-Grafik und keine Möglichkeit, eigene Inhalte zu erstellen - da hat nicht einmal die Macht des größten Suchmaschinenbetreibers und Werberkonzerns im Internet geholfen, "Google Lively" ist jämmerlich und wird Anfang 2009 nach wenigen Monaten Betrieb eingestellt.

Ähnlich versucht es Sony mit "Playstation Home", einer virtuellen Welt auf der Spielkonsole, gratis zwar, hübsch anzusehen, aber ohne Programmiersprache und ohne Konstruktionstools. "Homes" Funktionalität geht bis auf wenige Ausnahmen nicht über die des 8 Jahre alten "Habbo Hotel" hinaus. Schade, denn gerade die Hardware der PS3 mit dem extrem leistungsfähigen "Cell"-Prozessor wäre für ein echtes, frei gestaltbares Metaversum bestens geeignet. Eine Chance vertan hat aber auch Microsoft mit der "New Xbox Live Experience": Die an sich gute Online-Gaming-Plattform wurde um Avatare angereichert, deren Funktionalität nicht über lieb dreinschauen hinausgeht.

 
 
Innovation
  Wirkliche Innovation hat 2008 wie erwartet beim "Open Simulator" stattgefunden - einem weltweiten Projekt von Hackern und Open-Source-Programmierern. Sie haben eine eigene Version des Second-Life-Servers geschrieben. Und hier wiederholt sich vielleicht gerade die Geschichte des World Wide Web. Heute nämlich laufen mehr als die Hälfte aller Websites mit einem Serverprogramm namens "Apache", ein von Hackern programmiertes Opensource-Werkzeug. 2008 sieht es so aus, als könnte der Open Simulator zum Apache des 3D-Internet werden. Und an der Interoperabilität zwischen Second Life und Open Simulator arbeiten neben der Hacker-Community auch IBM, Microsoft oder der Newcomer RealXtend, der auch gleich eine völlig neue Grafik-Engine für virtuelle Welten auf Basis von SL und OpenSim entwickelt. Bedeutende Fortschritte gibt es auch bei Papervision, einer 3D-Engine auf Basis von Flash - die Folge sind zahlreiche Experimente mit Mini-Virtual-Worlds, wobei diese Versuche vor allem eines zeigen: Das Maß an Engagement in Gemeinschaften und Firmen, in denen kollaborative 3D-Umgebungen neben E-Mail, WWW und Messenger verwendet werden, steigt beachtlich. Zwar wird es noch ein paar Jahre dauern, bis sie in Betriebssysteme und Browser integriert sind - aber weitere wichtige Grundsteine sind mit 2008 gelegt.
 
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Keilereien der Konsolen, Aufwind der Indies, DIY-Spiele, Community-Riesen. Die Vielfalt der Games-Kultur in den vergangenen zwölf Monaten. (Robert Glashüttner)
   
 
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