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Wien | 17.10.2002 | 19:32 
Bits, Beats and Breaks.

Gerlinde, Glashuettner, Trishes

 
 
Fear Of A Kanak-Planet
  Hannes Loh (Anarchist Academy) hat ein neues Buch geschrieben, zusammen mit Murat Güngör (Kanak Attak). Und das ist eine gute Sache.
"HipHop zwischen Weltkultur und Nazi-Rap" lautet der Untertitel, der sehr heftige Reaktionen in der HipHop-Szene auslöst. Murat: "Das Buch polarsiert sehr stark. Wir erhalten auf der einen Seite sehr viel Liebe und Dankbarkeit, daß sich endlich einmal jemand mit so etwas beschäftigt - auf der anderen Seite fühlen sich viele angegriffen und sagen: 'Wie könnt ihr diesen Begriff "Nazi-Rap" nur überhaupt ins Spiel bringen?' - also der Vorwurf, Nestbeschmutzer zu sein und HipHop schlechtzumachen."
 
 
Zitate von MCs
  "Ich locke wack MCs in Gasduschen"
(Ronald McDonald von M.O.R.)

"Ich schlachte Kinder wie Hitler"
(Bass Sultan Hengzt)

"Zu viele MCs scheffeln Geld mit Nigger-Bonus"
(Denana)

"Ich bin ein Nazi, und Hitler ist mein Vater"
(Kool Savas)

"Mein Kampf"
(Titel eines Battle-Tapes)



"Wir wollen auf keinen Fall die Geschmackspolizei spielen und sagen 'Dieser HipHop gefällt uns nicht, wir wollen so einen HipHop", sagt Hannes Loh. "Sondern wir wollen sagen: 'Hört mal, da passieren Dinge, die sind so nicht in Ordnung. Und dann passiert folgendes: auf einer unserer Veranstaltungen war z.B. Denana im Publikum, und der erzählte uns an dem Abend, daß er seit unserem Buch von anderen MCs attackiert wird! Da heißt es jetzt: 'He, du bist ein Nazi, du bist ein Rassist, du kriegst Ärger.' Und das ist ja erst mal positiv, daß sich solche Leute jetzt zum ersten Mal der Kritik stellen müssen und zur Verantwortung gezogen werden für das, was sie da rappen!"
 
 
 
Lyrics und Jam-Kultur
  Die beiden Autoren behaupten in "Fear Of A Kanak Planet" nicht, es gäbe so etwas wie organisierte Neonazi-HipHopper (wie das ja bei manchen Rockbands der Fall ist). Sie betrachten die aktuelle Entwicklung der deutschsprachigen HipHop-Szene mit kritischem Blick. Und Tatsache ist, daß seit 2001 in Deutschland immer mehr MCs einen anderen Menschen auf Grund seiner Herkunft bzw. Hautfarbe angreifen und sich dabei auch einer eindeutigen Nazi- und Holocaust-Rhetorik bedienen.

Murat Güngör dazu:
"Vor 10 Jahren wäre es nicht möglich gewesen, daß sich einer hinstellt und im Battle zu einem Schwarzen 'Affenmensch' sagt, oder daß der gerappt hätte 'Alle MCs sind schwul in Deutschland' und 'Ihr seid ja alle Bitches'. Dieser MC hätte sich sofort den Ärger des Publikums zugezogen und wäre nach der Show mit seinen Aussagen konfrontiert worden. Doch diese positive Selbstregulierung der HipHop-Szene gibt es heute nicht mehr. Das ist verloren gegangen, weil die Jam-Kultur im HipHop verloren gegangen ist."
 
 
 
Respekt
  Respekt war früher ein wichtiger Teil des Codes, nach dem HipHopper lebten. Und dieser Respekt schloss auch und gerade die Achtung vor dem Gegner im Battle ein. Es war vor 10 Jahren einfach nicht möglich, etwa die Mutter oder ein anderes Familienmitglied eines MCs zu dissen, und rassistische Auswüchse wären nicht geduldet worden - weder vom Publikum, noch von den anderen MCs.

Ganz anders heute: "Ich ficke deine Mutter" ist zum normalen Battle-Slogan geworden, und auf großen Festivals wie Splash schreit das Publikum einmal "Alle MCs sind schwul in Deutschland", dann mal "Kiffen ist super", und irgendwann halt auch "Nazis raus". Es wird alles gerufen, was die Rap-Stars vormachen. Aber worum geht es eigentlich? Geht es überhaupt noch um irgendwas? Oder ist, wie es Schowi von den Massiven Tönen ausdrückt, "diese ganze Battle-Sache im HipHop zu einer reinen Brainfuck-Geschichte geworden, in der es um gar nichts mehr geht"? Und daher auch nicht mehr um Musik, und nicht um Respekt?

Auf der HipHop-Bühne besteht noch eine multikulturelle Situation - Artists aller möglichen Hautfarben und Herkünfte kommen zusammen. "Im Publikum aber sind nur noch Mittelstands-Kids deutscher Herkunft, uniform gekleidet und meistens zwischen 14 und 18. Die Bühne ist multikulturell, aber das Publikum nicht - das ist das frappierende!"
 
 
 
Tabubrüche
  Absurd erscheint auf den ersten Blick, dass zum Beispiel mit Samy Deluxe gerade ein MC, der jetzt Opfer rassistischer Sprüche wird (Denana: "du primitiver Neger") selbst vor zwei bis drei Jahren durch Sexismus und Schwulenfeindlichkeit aufgefallen ist (Samy: "obwohl da ein paar Typen rappen, hört sich's an wie Frauenrap"). Samy hat damit auch seinen kleinen Beitrag geleistet, dass Intoleranz im HipHop als normal empfunden wird. Der Tabubruch von heute ist der Mainstream von morgen. Hautfarbe und ethnische Zugehörigkeit eines Menschen sagen eben nichts über dessen Bewusstsein für gesellschaftliche Realitäten aus. Ganz so, als ob es von der Herkunft eines Menschen abhängen würde, ob er sexistisch, rassistisch oder homophob agieren kann, wird ja leider oft argumentiert, ein Kool Savas z.B. könne gar nicht minderheitenfeindlich sein, "weil er ja selber Türke ist". Murat Güngör:
"So eine Argumentation ist natürlich kompletter Unsinn. Gerne wird auch argumentiert, diese Sprüche seien in einem Battle-Kontext zu verstehen und daher nicht ernst zu nehmen. Aber: in dem Moment, wo ein Tape oder eine Platte rausgeht, verliert der Künstler die Kontrolle über das, was er darauf gesagt hat. Wenn ein Tape 8.000 Stück verkauft, interessiert es am Ende keinen mehr, warum und in welchem Battle-Kontext da "Nigger", "Affenmensch" und "Schwuchtel" gesagt wurde."
 
 
 
Rechts um
  Um ihre politische Unabhängigkeit zu untermauern, stellen Battle-MCs oft die Behauptung auf: "Linke denken ich sei rechts, Rechte denken, ich sei links."

Was aber, wenn plötzlich Rechte denken, M.O.R. seien rechts? Rechte, wie zum Beispiel vom Magazin Rocknord oder von der Homepage propatria.org jedenfalls fühlen sich von den rassistischen Tabubrüchen deutscher Battlerapper schon länger angesprochen - sie nehmen diese Entwicklung im HipHop zum Anlass, darüber nachzudenken, ob es möglich ist, national gesinnte Rapper für ihre Zwecke zu gewinnen.

"Fear of A Kanak Planet" ist voll von Interviews und Geschichten mit HipHop-Musikern, die sich abseits der gängigen Deutschrap-Klischees, und auch abseits von Rassismus, Sexismus und Homophobie bewegen. Viele Migranten kommen zu Wort, die schon seit 10 oder mehr Jahren HipHop machen, aber in den Massenmedien des Jahres 2002 kaum vorkommen.

"Dass unter jenen, die deutschen Battlerap gern anhören, im Jahr 2002 sehr wohl rassistische Stereotype abgefeiert werden, ist kein großes Geheimnis", schreiben Loh und Güngör. Leider haben sie recht. Man muss nur mal in die diversen Internetforen sehen - schnell findet man Kommentare wie "Afrob soll in den Regenwald auswandern" und als Antwort gleich ein "Afros machen keinen Stress, aber die Scheisstürken!"

 Murat Güngör und Hannes Loh: Autoren von 'Fear Of A Kanak Planet'
 
 
Prügel
  Am spannendsten wird das Buch "Fear Of A Kanak Planet" vor allem dann, wenn Geschichten der HipHop-Aktivisten erzählt werden, die abseits der mittelständischen Deutsch-Rap-Elite stehen, aber schon seit einem Jahrzehnt aktiv sind. Wie etwa diese interessante Story der Berliner Band 'Da Force': Die haben einmal im Büro des M.O.R.-Labels 'Royalbunker' vorbeigeschaut und dem Labelchef Staiger eine Tracht Prügel angedroht, falls weiße MCs weiterhin das Wort 'Nigger' verwenden würden. Staiger schickte daraufhin eine Presseinfo raus:
"Dass das Wort 'Nigga' von anderen in letzter Zeit inflationär und auch so unbedacht gebraucht wurde, ist Scheiße. Aus diesem Grund haben auch M.O.R. den Gebrauch des Wortes 'Nigga' stark eingeschränkt."
 
 
 
Tipp: Sonntag Lesung im Flex
  Nach Hannes Lohs hervorragenden Büchern '20 Jahre HipHop in Deutschland' und 'HipHop - Raplyriker und Reimkrieger' ist 'Fear of A Kanak Planet' seine dritte ernsthafte Auseinandersetzung mit HipHop, mit seinen Inhalten und seiner Geschichte. Ein sehr problematischer Teil der aktuellen Entwicklung wird aus kritischer Distanz betrachtet, und positive - aber in Mainstream-Medien viel zu selten behandelte - Aspekte deutschsprachiger HipHop-Kultur werden aufgezeigt.

Am Sonntag, dem 20. Oktober gibt es im Flex eine Lesung der beiden Autoren. Das Ganze wird multimedial aufbereitet, mit Videos, Texten und Musikbeispielen. Danach gibt es eine Publikumsdiskussion mit Hannes Loh, Murat Güngör und Schönheitsfehler. Start ist um 20 Uhr.
 
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