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New York | 14.3.2006 | 19:52 
Süß/saure Geschichten aus dem Big Apple

Rotifer, Matthews, Ondrusova

 
 
Alle lieben Tony
  Über die HBO Mafia Serie 'The Sopranos' anlässlich des Startes der sechsten Staffel in den USA.
 
 
 
"All due respect, you got no fucking idea what it's like to be number one". Tony S.
  Er ist brutal, unberechenbar und ungerecht. Er sieht aus wie Oliver Hardy mit dreifach gebrochener Nase und schaufelt zuviel Pasta Fagioli in sich rein. Er erhebt sich über das Gesetz des Staates und über die Regeln seiner Familie(n). Seine Wutausbrüche haben nicht selten letale Folgen für die Menschen, die ihn umgeben. Er ist ein Machtmensch, er ist ein brutales Schwein. Er ist der Boss.

Und dennoch: alle lieben Tony.

Vielleicht liegt es daran, dass "T", wie ihn seine Freunde nennen, auch nachdenklich, sensibel, feinfühlig, großzügig und uneigennützig sein kann - wenn auch die "guten" Seiten des Oberhauptes der DiMeo-Family aus einem Persönlichkeitskonflikt um Schuld und Sühne resultieren, der seinen Ursprung im gestörten Verhältnis zur Mama hat. Schließlich wollte die alte Dame den Paten von New Jersey mittels eines Hitmans aus dem Weg räumen, nur weil dieser die kränkelnde Mutter lieber im Altersheim sehen wollte.

 Tony (Photo by HBO)
 
 
"There is nothing more useless then an unloaded gun". Tony S.
  Am vergangenen Sonntag lief im US-Kabelsender HBO, nach zweijähriger Pause, die sechste Staffel der Mobster-Serie The Sopranos an und nicht nur ich zählte die Minuten, bis Tony und Co. sich um 9 Uhr Abends Eastern Time in Folge 66 erneut ins Lebensdrama stürzten, um Lebensdrama zu verursachen.

Die Sopranos unterscheiden sich von anderen Genre-Studien durch den Alltag, den David Chase, der Erfinder des Serienhits, in die mordsmäßigen Geschäftstätigkeiten "seiner" Mobster-Familie einfließen lässt.

Wo beim Godfather oder den Goodfellas die leiblichen Familien ein Mittel zum Zweck sind, um die Extreme dieses "Berufsstandes" zu zeigen, die dann wieder auf sie zurückfallen können (Stichwort Blutrache), werden sie bei den Capos aus New Jersey zum integralen Bestandteil und Angelpunkt der Serie. Wenn sich Tony (gespielt von James Gandolfini) und seine Frau Carmela (Edie Falco) mit den Schulproblemen des pubertierenden Sprösslings herumärgern müssen, kann sich auch der Buchhalter aus Oberpullendorf in die Situation der Ami-Gangster hineinversetzen. Das sorgt für Nähe und macht die Menschen hinter ihren tradierten Codes, Mobster-Klisches und Rollen greifbarer. Der Pate hat also nicht nur Probleme mit blauen, sondern auch mit grünen Bohnen und nimmt sogar auf der Ledercouch einer Psychotherapeutin platz, um seine Panikattacken zu kurieren.

Vor diesem Hintergrund geht Tony den üblichen kriminellen Machenschaften seines Gewerbes nach und trifft sich regelmäßig mit den Mitgliedern seines "Hauses", den so genannten Made Men, Footsoldiers und Captains in den Backstage-Räumen einer Strip-Bar und eines Nachtclubs in New Jersey.

 Carmela (Photo by HBO)
 
 
"We buried him, on a hill, overlooking a little river with pine cones all around". Tony S.
  Was The Sopranos zu einer der besten Drama-Serien dieser Tage macht, ist die Komplexität der Charaktere, die Symbolik und Bildsprache, sowie die Scripts und Twists der einzelnen Folgen. Dagegen sehen die meisten aktuellen Kinofilme ziemlich alt aus. (Dass die TV-Serie als Format der Großleinwand in Sachen Innovation und Relevanz momentan eindeutig den Rang abläuft, ist übrigens hier bei Kollegen Fuchs nachzulesen.)

Im Fall von The Sopranos äußert sich das in einer Experimentierfreudigkeit der Regisseure (von Tim Van Patten bis Peter Bogdanovich), die von den HBO-Programmverantwortlichen gefördert und nicht beschnitten wird. In der fünften Staffel, in der Tony die Geister seiner Vergangenheit endgültig einholen, erleben wir in einer Episode eine surrealistische Traumsequenz, die gut 30 Minuten anhält und sich ohne narrativen Strang irgendwann in Tony's Schuldgefühlen auflöst. Undenkbar, dass so etwas bei den Hauptsendern der großen TV-Networks durchgehen würde. Die erste Folge der sechsten Staffel öffnet mit einem visuellen Prolog, der mit dem Rezitativ 'Seven Souls' von William S. Bouroughs unterlegt wurde. Tote tauchen auf und rauchen Zigaretten mit den Überlebenden. Bedeutungsschwangere Dialoge künden von Unheil und Untergang. Das ergibt drei Minuten Gänsehaut bevor man realisiert, dass man nicht träumt, sondern im Patschenkino sitzt. Und dann schaufelt der scheinbar Unantastbare ein Loch in den Garten, die neue Staffel kann beginnen...

 Uncle Junior (Photo by HBO)
 
 
"I'm in the waste management business. Everybody immediately assumes you're mobbed up. It's a stereotype, and it's offensive." Tony S.
  Diese erste Folge hat es faustdick hinter den Ohren, wurde derart clever inszeniert und besitzt eine metaphysische Qualität, dass mir die Spucke weggeblieben ist. Die ersten 52 Minuten wirkten wie eine schlechte Parodie. Die Sopranos spielten die Sopranos, sie lebten sie nicht. Alles wirkte ironisch und distanziert.

Und dann passierte ES.

Die Episode 'Members Only' endet mit einem Big Bang, der mich laut aufschreien lies, als wäre Nicky Santoro aus Scorsese's 'Casino' persönlich hinter mir her. Die vorangegangenen Szenen ergaben plötzlich einen Sinn, waren ein diabolische Verdichtung die sich eruptiv auflöste. So etwas nenne ich eine göttliche Komödie. Alle die zusahen waren geschockt, die Kommentare in der Presse und in einschlägigen Blogs tags darauf dementsprechend.

 Paulie (Photo by HBO)
 
 
"You see my wife, you talk about oven cleaning. Anything else, you come to me." Tony S.
  Obwohl Tony Soprano auf der Mattscheibe "menscheln" darf wie kein Pate vor ihm, bleiben die mythischen Qualitäten seines blutigen Gewerbes und des Mafia-Genres intakt. Und das, obwohl es in dieser Macho-Welt ausgerechnet die Frauen sind, die ihm Paroli bieten können. Allen voran Tonys tapfere Ehefrau Carmela, die der Willkür ihres herrischen Gatten als einzige Person der ganzen Bagage entschieden entgegentritt. Selbiges lässt sich zum Teil - im Gegensatz zu ihrem schwachen Bruder - zumindest ab und zu auch von der widerspenstigen Tochter Meadow (Jamie-Lynn Sigler) und Tonys Analytikerin Dr. Jennifer Melfi (Lorraine Bracco) sagen, obwohl letztere von ihrem Patienten durch ein Wechselspiel aus Drohung und eindeutiger Anbahnungsversuche immer wieder in die Defensive gedrängt wird.

Aber auch sonst bieten die Sopranos jede Menge Interpretationsstoff und überraschende Offenbarungen. Wie keine andere international erfolgreiche US-Serie spiegelt die Mafia-Saga die Zustände und Konflikte des kleinteiligen Amerikas, das hinter den großen US-Stereotypen lauert und einen reichhaltigen Fundus an kulturellen Details offenbart, die - wie bei den Simpsons - erst durch den Vergleich vor Ort so richtig sichtbar werden. Nicht umsonst spielt die Serie in der Vorstadthölle New Jersey, die sich im Westen von New York wie ein großer Garten (Stichwort Garden State) entlang der Atlantikküste erstreckt.

Staffel fünf war die bisher beste und begeisterte Fans und Kritiker gleichermaßen. Mit Indie-Film Darling Steve Buscemi in der Rolle des tragischen Cousins Tony Blundetto wurde ein ideales "neues" Familienmitglied eingeführt. Buscemi führt auch seit Staffel 3 bei einigen Episoden Regie und stand für die eben angelaufene Season erneut hinter der Kamera.

 Silvio (Photo by HBO)
 
 
"I'm gonna say a few things, I'm gonna a say some bad words and you just gonna have to deal with it." Tony S.
  Natürlich geht es bei den Sopranos auch um die traditionellen Mafia-Themen, um "Family Values" der besonderen Art, um Loyalitäten, Ehre und Stolz, um Einzelschicksale und -bedürfnisse, die im Strudel des Kollektivs ganz schön weit nach unten gerissen werden können. Dabei kollidieren katholische Dogmen mit kapitalistischem Kalkül. Italoamerikanischer Stolz paart sich mit kollektiven Minderwertigkeitsgefühlen und Identitätskrisen. Viele Mitglieder der DiMeo Family waren noch nie im Land der Vorfahren und kennen die italienische Sprache höchstens von der Speisekarte.

Bei den Sopranos trifft Griechisches Drama auf Italienische Oper(a Buffa). Der Blick auf die Menschen ist finster wenn auch manchmal urkomisch. Es gibt keine einzige unschuldige Beziehung in der ganzen Serie. Meist ist es die Gier, die aus Familien-Mitgliedern und Gegnern kalte Körper macht. Fast jedes mörderische Schicksal wird durch Überschreitung von Grenzen und Verrat herbeigeführt - oder durch Tonys sprichwörtliche Mordswut. Colleteral Demage nennt das Donald Rumsfeld in Hinblick auf die größere, amerikanische Familie. Es ist die unhinterfragte Akzeptanz und Organisation von Gewalt zur Durchsetzung gemeinschaftlicher Interessen, die The Sopranos näher an die Hauptschlagader Washingtons rückt, als sämtliche TV-Politserien zusammen.

 Christopher (Photo by HBO)
 
 
"I don't care how close you are, in the end your friends are gonna let you down. Family. They're the only ones you can depend on." Tony S.
  Und über all dem Menschen-Theater herrscht der Pate, der Boss, der Despot Tony Soprano. Tony kommt seinen Kindern moralisch, wenn diese ordinär werden, der Mutter widersprechen oder die Hausaufgaben verweigern. Wenig später prügelt er ohne ersichtlichen Anlass einen unschuldigen Kerl halb zu Tode und beruhigt sich anschließend mit dem Gang in ein Bordell. Nur wenn es um die eigene Familie geht, wird er wirklich sentimental. Das mit Family nicht unbedingt die Verwandtschaft gemeint sein muss, ist vielleicht mit ein Grund, warum alle Tony lieben; all jene, versteht sich, die ausschließlich via Bildschirm mit ihm zu tun haben.

Die dritte Staffel von The Sopranos läuft in der ORF-Donnerstagnacht ab 00.35 Uhr auf ORF1

The Sopranos

Die Mafia und ihre Cops in New York.

 Das offizielle Foto der sechsten Staffel (Photo by HBO).
 
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