Ein Interview mit den Hardcore-Innovatoren aus Toronto kurz vor ihrem Österreich-Gastspiel in Wien.
Hardcore Reformation?
An einem Oktobernachmittag im New Yorker Büro von Matador Records. Fucked Up-Sänger Damian Abraham aka Pink Eyes und Gitarrist Mike Haliechuk aka 10.000 Marbels sind gut gelaunt und das geht so:
Ihr habt soeben eine 12-stündige Marthon-Show hier in New York gespielt. Wie seid ihr denn auf diese Idee gekommen?
Pink Eyes: Darf man bei euch im Radio "Fucked Up" sagen? Ja? Gut so! Also Fucked Up ist mittlerweile unser Job. Das heißt, niemand macht zurzeit etwas außerhalb der Band. Mike dachte, okay, dann können wir das auch wie einen richtigen Job angehen, also so eine 9 till 5 Situation simulieren, zumindest für einen Tag. Also haben wir eine Reihe von Leuten eingeladen und losgelegt. Wir haben sogar fleißig Überstunden gemacht.
12 Stunden sind eine lange Zeit.
Pink Eyes: Wir mussten auch ganz tief in unser Repertoire greifen und viele Covers von den Ramones, Blitz und anderen alten Helden spielen. Außerdem waren da noch die Gäste. J Mascis von Dinosaur Jr, John Joseph von Cro-Mags, die Vivian Girls, Ezra Koenig von Vampire Weekend, Endless Boogie, Jim White von Dirty Three, Les Savy Fav, Moby, die Veteranen von Upsidedown Cross und am Ende der Show hat Michael Stipe von R.E.M. "Danke" gesagt. Was für eine Crowd! Die Kids haben gemosht. Niemand wurde verletzt. Die Location blieb ganz und am Ende waren sogar noch alle meine Finger und Zehen dran. Es war eine riesen Party an einem Dienstagnachmittag in Downtown New York.
Eins auf die Glatze 2.0
Wo geht´s hier zu Starmania?
Du hast ein Cut auf der Stirn. Was ist passiert?
Pink Eyes: Ich knalle mir ständig das Mikrophon an den Schädel. Ich weiß nicht warum. Es tut weh und sieht hässlich aus. Frustration ist sicher nicht der Grund. Es passiert einfach. Eigentlich bin ich nicht autodestruktiv. Ich füge mir sonst keine Verletzungen zu. Nur auf der Bühne.
Gibt es viele Verletzungen bei euren Shows?
10.000 Marbles: Das passiert selten, aber es passiert. Das ist nichts Außergewöhnliches bei einer Hardcore-Show. Die Leute machen allerdings keine große Sache daraus, wenn sie sich beim Moshen die Nase brechen.
Pink Eyes: Alle fünf/sechs Shows hat mal jemand eine blutige Stirn oder eine ausgerenkte Schulter. Bei dem 12-Stunden Gig in NY hat sich aber niemand verletzt, obwohl es Gratis-Alkohol gab. Wenn jemand etwas abbekommt, dann in der Regel wir selbst und das ist auch gut so.
Wie erklärt ihr euch, dass Hardcore / DIY wieder so angesagt sind und zwar über die relativ dichten Grenzen der diesbezüglichen Szenedörfer und Klüngel hinaus?
Pink Eyes: Ich denke, die Kids wollen wieder etwas anderes. Ich sage jetzt ganz bewusst nicht, etwas, das mehr "real" ist. Punk und Hardcore sind nicht mehr "real" als HipHop oder Pop. Das ganze Ding ist in der Umsetzung einfach viel direkter, simpler. Ein paar Leute auf der Bühne und that's it. Fucked Up, so wie wir momentan klingen (Album 'The Chemistry of Common Life'), das ist ein ziemlich poppiger Ansatz in Kombination mit meiner Unfähigkeit zu singen.
12-Stunden Show in Downtown New York samt Bühnennickerchen.
This is Hardcore
Hat das erneute Interesse an extremer DIY-Musik nicht auch etwas mit Körperlichkeit zu tun? Mit der Herstellung von Intensitäten, wie sie im strikt geregelten und kommerzialisierten Rock-Biz kaum noch möglich sind?
Pink Eyes: Heute kannst du alle erdenkliche Musik von Zuhause aus konsumieren. MP3s, Bootlegs, Live-Aufnahmen, Konzertvideos, groß, klein, einfach alles. Ich glaub' schon, dass das Bedürfnis nach intensiven Live-Erlebnissen gestiegen ist. Im Indie-Bereich werden die Gigs zunehmend unpersönlicher, routinierter und liebloser. Uns aber ist die Interaktion mit dem Publikum wichtig und zwar auf Augenhöhe. Es scheint einfach wieder Zeit für diese Form der Energie und Intensität. It all comes back.
Man darf dabei den Faktor des Unkontrollierbaren nicht vergessen. Musik ist mehr denn je ein Produkt. Man kann dieses Produkt relativ ungefährdet konsumieren, in die eigenen vier Wände holen ohne das Haus verlassen zu müssen. Das alles ist nice und safe.
Eine Hardcore-Show hingegen, da weiß man nie, was passiert. Das gilt für uns wie für das Publikum. Außerdem: die Anbahnungsmöglichkeiten! Wann sonst hat ein fetter, hässlicher Typ wie ich die Gelegenheit, an- und ausgegriffen zu werden (lacht).
Sowohl inhaltlich als auch ästhetisch brecht ihr mit allen Regeln des Hardcore. Euer Interesse reicht von spanischen Anarchisten während des Bürgerkrieges über den Wiener Aktionismus bis hin zur Esoterik, die dann wieder durch einen harschen Realismus weggefegt wird. Eure neue Platte wiederum ist nicht low-fi in einem feuchten Keller aufgenommen worden, sondern eine fette Studioproduktion mit über 70 Tonspuren. Sie erinnert vom Sound her sogar phasenweisen an Pink Floyd.
10.000 Marbles: Im Hardcore geht es im Grunde genommen darum, ehrlich zu sich und zu einer Sache zu sein und sich nie zu ändern. Das ist ein relativ starres, dogmatisches und auch reaktionäres Konzept. Es ignoriert Veränderung von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und der eigenen Persönlichkeit. Deshalb bedeutet Hardcore für uns in letzter Konsequenz die Verhältnisse umzukehren, unberechenbar zu bleiben. Wir verändern uns in einem fort. Wir streuen auch Lügen und Falschinformationen über unsere Absichten, die Band, unser Leben.
Pink Eyes: Die Weiterentwicklung hat aber auch ganz egoistische Gründe. Immer den gleichen Stil runternudeln ist doch langweilig. Es ist natürlich cool, wenn das Publikum bestimmte Songs mag. Aber wenn dir das Spielen dieser Songs keinen Spaß mehr macht, dann musst du einfach weiter.
Kraulen macht schön und ist gesund.
MTV als Moshpit
Ihr legt Euch immer wieder mit größeren Medien an. Beim kanadischen MTV-Ableger habt ihr Hausverbot, weil ihr und eure Fans mehrmals die Einrichtung des Studios zertrümmert habt. Gemeinsam mit der Band Xiu Xiu hat Fucked Up ein Verfahren gegen das 'Rolling Stone'-Magazine und 'Camel' laufen. Wie ist der momentane Stand?
Pink Eyes: Das Verfahren läuft noch und es ist noch kein Ende in Sicht. Die beiden Marken haben den Namen mehrerer Bands für die Bewerbung eines neuen Online-Magazins verwendet. Das fanden wir gar nicht gut. Nicht nur, weil sie uns nicht gefragt haben, sondern weil wir das einfach nicht wollen, auch wenn sie uns gefragt hätten. Lass uns noch einmal in 20 Jahren darüber reden. Ich bin mir sicher, dass das Verfahren dann immer noch läuft.
Warum die Fantasienamen der Fucked Up-Bandmitglieder?
Pink Eyes: Das hat pragmatische Gründe. Als kanadische Band brauchst du ein Arbeits-/Künstlervisum, wenn du in den USA auf Tour gehen willst. Das kostet und ist zeitaufwändig. Also sind wir unter zivilen Namen eingereist. Doch mit den ersten Erfolgen haben immer mehr Medien unsere bürgerlichen Namen recherchiert und irgendwann haben sie uns dann auch an der Grenze geschnappt und eingebuchtet.
Komm sing mit!
HC & Politics 08
Die Tage des Straight Edge Movements sind lange vorbei. Wie politisch kann und will Hardcore 2008 noch sein?
10.000 Marbles: Der politische Hardcore ist letztlich zynisch geworden. Als Band hat uns das noch nie interessiert. Ich war in meiner Jugend politisch sehr aktiv und sehr links. Wir würden aber nie auf die Idee kommen, unsere Musik als Propagandainstrument zu benutzen und den Leuten reinzudrücken, was sie zu denken haben. Das geht schon lange nicht mehr durch.
Pink Eyes: Wir spielen ab und zu Benefizkonzerte. Aber damit hat es sich schon. Die politische Haltung im Sinn von Weltanschauung kommt ja ohnehin über die Texte, die Michael und ich schreiben, zum Tragen. Da braucht es nicht noch den zusätzlichen Propagandaminister. Politische Rockbands lassen sich in der Regel vom Publikum für ihre Lehrstunden bezahlen und geben dann die Kohle für ureigene Zwecke aus.
Im Sommer haben wir mit dieser sehr berühmten Band in England gespielt. Das war eine einzige aufgeblasene Polit-Show. Ich glaube, diese eine Band hat über vier Millionen Dollar für ihre Reunion-Tour bekommen. Selbst, wenn sie die Hälfte spenden, gehen sie noch mit zwei Mille nach Hause. Dabei beuten sie das Leid von Menschen genau so aus, wie das vermeintliche System, gegen das sie ansingen. Don't get me wrong, ich mag die Musik dieser Band und sie sind umgekehrt sicher auch nicht mit allem einverstanden, was wir machen, aber ...
... da könnte man schon so eine richtige Wut gegen die Maschine bekommen?
Pink Eyes (lacht): Ja genau, das könnte man.
'The Chemistry of Common Life' ist auf Matador Records im Vertrieb von Edel erschienen. Fucked Up gastieren am 6. Dezember im Wiener Shelter.