'Entanglements', der spinnerte Kammer-Pop der Parenthetical Girls
Entfremdung auf Sichtweite
Zac Pennington schreibt zurück! Nicht oft passiert es, dass ein Künstler, über diverse Portale kontaktiert, tatsächlich antwortet und die Sache selbst in die Hand nimmt. Ich will gar nicht lange über die 'Entanglements' schimpfen, die beim Organisieren eines Interviews in New York zum Beispiel aus dem musizierenden Nachbarn einen mit Nebengeschäftssitz in Deutschland oder Österreich machen. Und auch nicht über die arbeitsteilig dazwischen geschaltenen Menschen diverser Vertriebe, Plattenfirmen oder mit Presse betrauten PR-Agenturen (dann würde ich nämlich sehr lange und nicht gerade druckreif schimpfen). Die Welt, die sich ja ach so nahe macht, sie driftet auseinander, wenn sie eigentlich beisammen liegt. Kurz: Eine Interview-Anfrage für nebenan kann schon mal Dutzende Stationen und mehrere Kontinente durchlaufen, bis sie nach Wochen zerfleddert zurückkehrt und nicht selten negativ beschieden wird. Ein Vertrag sagt "Nein" zum gesprochenen Wort. Immerhin kann man sich dann noch gegenseitig zuwinken. Nennen wir es Entfremdung auf Sichtweite.
In der Kammer mit den Parenthetical Girls minus Mietorchester.
Zac Pennigton schreibt also zurück, Portland nicht New York. Vielleicht, weil er ein guter Typ ist oder aber ein Kontrollfreak. Der süße, irre Wahnsinn des 2008er Albums 'Entanglements' lässt beide Schlüsse zu. Immerhin hat Pennington, der als einziger Fixstern über seinem Bandprojekt Parenthetical Girls wacht, ein kleines Orchester engagiert, um seine musikalische Vision eines lustvollen Song-Zyklus über gedehnte Vokale beim Geschlechtsverkehr und andere Verstimmungstechniken des Zusammenlebens in die Tat umzusetzen - his legs give way like bridges('Unmentionables').
Sympathisch prätentiös und ohne jeden Genierer inszeniert Pennington 32 Minuten sägender Schönheit, die nie eine ungetrübte sein wird können. Die spinnerte Kammer-Pop-Musik, die dabei herauskommt, erinnert an die gehauchte und schmerzende Spannung von Xiu Xiu, an chinesische Oper, den (ziegen)bockigen Crooner von Tyrannosaurus Rex, Vaudeville, Van Dyke Parks, einen Lumpenzirkus und auch ein bisschen an Prokofjews Peter und der Wolf.
Hörner, Glockenspiel und Streicher laufen in den Songs, Themen und Fragmenten gern gegeneinander, ordnen sich aber immer wieder Pennigtons Lead unter - wie in einem Musical.
Post-Thanksgiving-Dinner-Situation?
Spinette, wie spinnert
Im Gegensatz zum mehrmaligen Kollaborateur Jherek Bischoff (Dead Science, Produktion von 'Entanglements') und seinen Peers bei Parenthetical Girls ist Pennington ein in Sachen klassische Musikschulung Unbefleckter. Das macht ihn resident gegen eine allzu akademische und konzeptuelle Führung seines kleinen Orchesters - was diesem Durchhaus von einer Musikkammer trotz Ernst die Strenge nimmt. Etwas Pfuschen ist immer drin.
Anspieltipps: das übergeschnappte 'Four Words'. Der Titelsong im Stile einer Stummfilm-Drama-Begleitmusik durch die eine Coney-Island-Gedächtniskapelle marschiert. Das beinahe ohrwurmende 'A Song For Ellie Greenwich' und das durch Dusty Springfield unsterblich gewordene Legrand-Cover 'Windmills of Our Minds', in dessen Parenthetical Girls Streicherspur der leise Wahnsinn wohnt.
Zac Pannington hat zurück geschrieben! Warum es trotzdem nie zu einem Treffen gekommen ist, hat mit dem ganz normalen Leben zu tun, seinen Autopannen und Todesfällen.
'Entanglements' - auch vorstellbar
als geheimer Soundtrack von 'Harold And Maude' oder als Tonspur beim nächsten Tim Burton. Fühlt sich wohl bei Xiu Xiu, Department Of Eagles, Final Fantasy, Lightspeed Champion, Scott Matthew, Magnetic Fields, Rufus Wainwright.