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New York | 19.1.2009 | 16:05 
Süß/saure Geschichten aus dem Big Apple

Rotifer, Matthews, Ondrusova

 
 
The Horror, the Horror
  Gruselig die Anfahrt. In einer notdürftig versehrten U-Bahnstation am Columbus Circle plärrt eine Stimme Unverständliches aus dem Lautsprecher. NY-Besucher kennen das: gefangen in der Fahrplanänderung, verloren in der Kakophonie der Stationsdurchsagen. So warte ich vom C-Train umsteigend vergeblich auf den D-Express, der mich in den Norden der Bronx zur Kingsbridge Road bringen sollte. Die MTA und ihre Wochenendeingriffe in die Routen und Linien = The Horror, the Horror. Eineinhalb Stunden und einige Umwege später stehe ich vor dem Edgar Allan Poe Cottage. Mein Tour-Guide, Mr. Green von der Bronx Historical Society, wartet schon.
 
 
 
 
 
  Hier, im ehemaligen Fordham, hat Poe seine letzten Lebensjahre verbracht. Hier ist seine abgöttisch geliebte Frau Virginia gestorben. Hier hat der Fürst des analytischen Horrors die hymnischen Gedichte "Annabel Lee" (angeblich als Hommage an seine Frau) und "The Bells" geschrieben. Und hier steht es noch immer, das kleine Landhaus aus dem Jahr 1813, das Edgar Allan Poe Cottage, das mittlerweile von der Bronx Historical Society verwaltet wird und zugleich Museum und Schrein für Literatur- und Gruselreisende aus aller Welt ist.
 
 
 
 
 
  Tatsächlich verirrt sich kaum jemand in die gut 12 Meilen nördlich vom Stadtzentrum gelegene Holzklitsche mit kleiner Südstaaten-Porch. Dementsprechend klamm und muffig wirkt die karge Bleibe. Die dunklen Räume und Abgründe, die Poe der Literatur erschaffen hat, sie finden sich auch in diesem Haus mit seinen knarrenden Dielen und kargen Wänden.
 
 
 
 
 
  "Poe war bankrott, alkoholsüchtig und hatte eine Schreibblockade, als er 1846 mit seiner Frau und Schwiegermutter hierher gezogen ist", erklärt der Historiker Green. Virginia litt an Tuberkulose. Fern vom Trubel Manhattans erhoffte sich die kleine Familie Ruhe und vor allem saubere Luft. Doch nur knapp ein Jahr nach dem Umzug schied Virginia aus dem Leben.
 
 
 
 
 
  "Das Sterbebett ist eines der wenigen Originalstücke im Haus", so Green. Daneben ein kleines Kästchen, ein Profilbild der Hinweggerafften und ein leerer Stuhl. Wie viele Stunden hat Poe hier wohl ausgeharrt, an der Seite seiner sterbenskranken Frau? Zugegen, da ist ein Hauch von history thrill. Ein bisschen Trauer auch.
 
 
 
 
 
  And this was the reason that, long ago,
In this kingdom by the sea,
A wind blew out of a cloud, chilling
My beautiful Annabel Lee;

So that her high-born kinsman came
And bore her away from me,
To shut her up in a sepulchre
In this kingdom by the sea.


Anabell Lee (1849)
 
 
 
 
 
  Antony erzählt die wechselvolle Geschichte des Hauses. Von zwei großen Stadtstraßen eingeschnürt liegt es heute am nördlichen Ende des winzigen Poe Parks unweit der Fordham University. Der Dichter berappte gut 100 Dollar Jahresmiete und spazierte stundenlang durch die Gegend, streunte an den Ufern des Hudson und East River herum, um sich schließlich in eine der lokalen Tavernen zu verdrücken. Als nach seinem Tod das Dörfchen Fordham der Bronx von NY einverleibt wurde, drohte das Cottage der rasanten Stadtentwicklung zum Opfer zu fallen. Eine Umbettung auf die gegenüberliegende Straßenseite in den Park rettete das Häuschen vor der geschichtsblinden Abrissbirne. Umgeben von Tenement Buildings aus dem frühen 20. Jahrhundert wirkt das Landhaus klein und zerbrechlich, so wie das kurze Glück der Familie Poe.
 
 
 
 
 
  Dem Sujet entsprechend verschlägt es auch Obskuranten und schräge Vögel zur Cottage. Es ist zwar weit entfernt von Fanaufläufen wie in Graceland oder Père Lachaise, "aber wir bekommen immer wieder Anfragen von Organisationen oder einzelnen Personen, die Séancen oder Geisterbeschwörungen im Hause abhalten wollen. Wir erlauben das aber nicht. Uns geht es ausschließlich um das historische Erbe Poes", so Mr. Green von der Bronx Historical Society.
 
 
 
 
 
  Jene, die mittels Beschwörung vor Ort Kontakt mit dem Meister aufnehmen wollen, können das im Poe Park erledigen und dort auch die Raben anraven. Apropos Vögel. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem zweihundertsten Geburtstag des dunklen Dichterfürsten und der Notwasserung des mittlerweile legendären US Airways Fluges mit der Nummer 1549 unweit der letzten Wohnstätte Poes im Hudson River konnte bis dato nicht hergestellt werden. Trotz Federvieh im Triebwerk, das ginge dann doch einen Flügelschlag zu weit.
 
 
 
 
 
  Obwohl, "ich glaube zwar nicht an das Paranormale, doch bei Poe ist alles möglich", meint der Historiker Green verschmitzt und erzählt zum Abschluss der Führung die Schnurre von einer Mitarbeiterin, die an einem Geburtstag Poes im Cottage übernachtet hat. "Seither wagt sie sich nicht mehr allein ins Haus". Kein Geringerer als der Meister selbst habe sie des Nächtens heimgesucht und ihren Schlaf gestört. Tab, tab, tab. Wer geht da um?
 
 
 
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  bronxhistoricalsociety.org

Edgar Allan Poe (1809-1849)
   
 
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