Genau eine Woche vor dem Soundpark Clash im Wiener Wuk möchte ich in DaviDecks einen Appetizer spielen, ein historisches "My Definition" Set mit heimischer Musik. Fündig wurde ich im FM4 Archiv. Turntable Wizard DJ Cutex hat vor neun Jahren einen Mix mit folgendem Titel hergestellt: "Österreichischer Hip Hop von 1988-1992".
Ein DaviDecks HipHop Backflash
Bemerkenswert, weil die heimische HipHop Szene in den Erinnerungen der meisten eigentlich erst einige Jahre später beginnt, unter gewissenhafter Anleitung von Demon Flowers Werner Geier mit seinem Label Uptight und den beinahe Weltstars Aphrodelics, natürlich auch mit Texta, mit Total Chaos, mit Urbs und mit Cutex selbst. Aber 1988 war der Samen schon ausgesät. Im ersten Durchhören des Mixes entsteht der Eindruck, als machen sich im Wesentlichen die Herren Sugar B., Rodney Hunter, Peter Kruder und DJ DSL die Sache unter sich aus. Die wissen, wie man Beats schnitzt und sampelt, Sugar weiss, wie man hierzulande sprechsingt, ohne verwechselbar zu werden. Sugar, Hunter, Kruder und DSL werden zu Dr. Moreaus Creatures (1988-1991). Megablast hat als Kooperationspartner noch El Coca, wird aber bald Richtung Schönheitsfehler gehen, wenn ich mich recht erinnere. Ein erster Hip Hop Club entsteht.
Dr. Moreaus Creatures
Quietschende Arabella
BTO Spider, HipHop geflasht von seinen London Aufenthalten, erinnert sich in einem Interview mit Trishes für "The Message" an die rauhen Anfangszeiten: "Als ich die ersten Run DMC oder LL Cool J Platten im Monte gespielt hab, gab es Randale und die Leute haben sich beim Chef beschwert. Das hat ewig lange gedauert, bis da irgendetwas akzeptiert wurde. Für die Leute war das einfach Scheiß-Alienmusik und die wollten nur angenehme Sachen hören und am liebsten U2 oder Sting. Mit den Raregrooves war es da viel leichter, das haben die Leute viel leichter akzeptiert. Klassiker wie "The Bottle" von Gil Scott-Heron oder Edwin Starrs "Get Up Whirlpool", das waren einfach Hits. Arabella Kiesbauer ist die ganze Zeit wie eine Geisteskranke herumgelaufen und hat gequietscht: "George Benson" oder "Crusaders - Street Life".
BTO Spider
When Spider met Sugar
Im gleichen Interview erzählt BTO Spider über sein erstes Zusammentreffen mit dem Swound Propheten: "Auf einmal kommt so ein ganz spaciger Typ mit einer Baseballjacke, wo er sich Spielzeugdinosaurier draufgeklebt hatte, und sagt: "He, ich bin der Martin Forster. Du bist super und du hast soviele Platten, machen wir einen Hip Hop Club". Und das hat natürlich alles nicht funktioniert. Ich weiß garnicht, wie oft es den Club gegeben hat. Der alte Böhm (Besitzer des "Volksgarten", Anm.) ist rotiert und es sind eh keine Leute gekommen, obwohl heute alle behaupten, sie wären dortgewesen. Wenn nur die Hälfte oder 10% davon damals dort gewesen wären, dann wären wir heute alle reich."
Sugar B
Nicht tanzbar
BTO Spider und Sugar B. müssen sich in Ihrem Club "Cookiepuss" im Volksgarten in Wien mehr als einmal blöd anreden lassen. Für Hip Hop, eine Musik, die damals noch als nicht tanzbar galt. Ein Wahnsinn eigentlich. Spider im O-Ton: "Was die Zeit so intensiv und spannend gemacht hat ... die positive Energie unter den Homies und Gleichgesinnten, gleichzeitig die (extrem) negative Energie von Außen. Der "Fuck Off" Faktor war schön hoch und im Nachhinein weiss man gar nicht mehr, was mehr Spaß gemacht hat; den Sound und Style in vollen Zügen genossen zu haben, oder den Kulturschock und die Aufregung "der Anderen". No surrender and no retreat - das waren die wichtigen Jahre. Big Time."
Von der Reproduktion zur Produktion
Nach der Penetration durch englischsprachigen HipHop kommen die ersten Gehversuche in deutscher Sprache auch in Österreich an. Martin Blumenau über ein Ereignis Anfang der 1990er Jahre: "Am 28.11.92 hat im Künstlerhaus in Wien (ungewöhnlicher Ort, aber es gab damals ja keine grösseren Spielstätten für sowas Komisches) ein unendlich wichtiges Konzert stattgefunden. Advanced Chemistry aus Heidelberg/Deutschland waren da und boten Unerhörtes - deutschsprachigen Rap, verständlichen Sprechgesang, der Themen betraf, die alle angehen - wohingegen die Themen der US-Amerikaner uns zwar interessieren, aber nie berühren konnten, weil sie nur abstrakt nachvollziehbar waren. Torch, der Linguist und Toni L., die erzählten einer staunenden Community Dinge in einer Art, in einer Intensität, die bis dahin unerhört war."
Und Blumenau weiter: "Mich hat ausserdem die Vorband unglaublich geflasht - das waren die damals völlig frisch gegründeten Gainful Gallivants; das wird jetzt niemandem etwas sagen, aber das war der Nukleus des Schönheitsfehlers. Und wo Advanced Chemistry über ihre ganz konkreten Anliegen sprachen, erzählt mir da ein MC namens Marimba (später wurde aus ihm ein Milo) Dinge über sein Tschusch-sein, über einen aufkommenden Populisten namens Haider und anderes aus Politik und Alltag, dass mir die Spucke wegblieb. Weil er und die seinen (Megablast und Burstup als DJs, sowie ein verlorengegangener Co-Rapper namens Graffity) diese tatsächlich neue Kunstform LIVE-HIP HOP dazu nutzten, etwas zu sagen, anstatt sich allein dem Groove zu widmen und zu hoffen, dass die Welt über gute Vibes und lässige Sounds genesen würde. Ab diesem Moment, nach diesem Konzert, das alle gesehen hatten (entweder live oder durch die Video-Bootlegs von Beppo Stuhl) war die heimische HipHop-Szene nicht mehr wie davor".
Advanced Chemistry
HipHop von 1988-1992 in the mix
Das zarte "Davor" steht für etwas mehr als zwanzig Minuten im Mittelpunkt der "My Definition" Serie in DaviDecks, Platte für Platte zusammengefügt von DJ Cutex, dem noch eine Fülle anderer österreichischer Obskuritäten abseits dicker Beats und Sprechgesänge in seiner Plattensammlung nachgesagt werden. Darüber werde ich irgendwann noch mit Cutex reden müssen.