"Wenn man ein Video dreht, ist es einfach sehr entspannt. Es gibt keinen Druck und du bist mit deinen Freunden bei meist idealen Bedingungen im backcountry unterwegs. Aber auch Contests sind wichtig, vor allem für die Karriere und die Geldtasche."
Der amerikanische Snowboard Profi Danny Davis ist sich des zweischneidigen Schwertes bewusst. Einerseits bringt ein Event wie das Burton European Open, kurz BEO, gutes Preisgeld und Medienaufmerksamkeit, andererseits ist das Filmen von grandiosen Linien, die man in steile Tiefschneehänge zieht, die Essenz des Snowboard Lifestyles. Und es bringt in Amerika viel Renommee in der Szene.
Trotzdem ist der seit Jahren im pikfeinen Schweizer Schiort Laax stattfindende Contest weder eine Quälerei für die Fahrer, noch ein mühsamer Marketingerfüllungsspießrutenlauf. Auch bei einem prallen und engen Programm ist chillige Stimmung angesagt.
Geburtstägliches Flair beim Startgate der Half Pipe. Beim drop in kann sich der Schweizer Iouri Podladtchikov vor Fluftballons kaum retten. Pic by Marcel Lämmerhirt.
Familientreffen und Vernetzung
Runde Geburtstage sind oft der Anlass für große Feiern. Nicht umsonst sind Geburtstagstorten, Luftballons, Papierschlangen, brennende Geburtstagskerzen und so manch spitzer Partyhut beim zehnten BEO allgegenwärtig. Das verstärkte die ganze Woche über noch mehr das Gefühl, bei einer riesigen Familienfeier im Schnee dabei zu sein. Die Sonne, kristallklarer, blauer Himmel und milde Temperaturen taten ihr übriges für einen stressfreien und perfekt getimten Ablauf. Solche Bedingungen sind nicht unbedingt Standard. Ich erinnere mich da an ein abgesagtes Finale 2007, bei dem trotz viel Mühe und Anstrengungen der Wettergott am Schluss den Slopestyle geritten hat. Oder an klirrende Kälte im Jahr davor. Diesmal konnte man als Geburtstagsgeschenk bei den Finaltagen fast schon ohne dicke Jacke sich von den Sonnenstrahlen wärmen lassen.
Diese wundervolle Stimmung schien auch auf die Riderinnen und Rider überzugehen. Am Donnerstag, dem großen und langen Slopestyle Finaltag, applaudierten die amerikanischen Teamkollegen Mason Aguirre und Kevin Pearce dem absoluten Überraschungsgewinner Danny Davis und starteten während eines TV-Interviews einen Umarmungsangriff, begleitet von lautem Jubel.
"Das ist nicht ungewöhnlich", meint der französische Spitzenfahrer Matthieu Crepel, der dieses Jahr bei den European Open trotz starker Leistung leider leer ausging. "Wir sind alle gute Freunde. Es ist wie eine große Familie und das ist auch gut fürs Snowboarden. Es erhält den spirit, dass nämlich das Boarden hauptsächlich Spaß machen sollte. Deshalb haben wir auch alle damit angefangen."
Die derzeitige Schneebrett-Weltspitze vernetzt sich selbstständig und vermarktet sich somit ganz fannahe, wie mit der Plattform Frends, auf der sich neben Blogs und Fotogalerien auch stylische Videos befinden. Angesichts der schlechten Wirtschaftslage ist dieser DIY-Ansatz sicher eine clevere Sache, denn für die eigene Fashion Company sieht es zurzeit düster aus.
Die Roxy Girls trumpfen auf. Hier die 27-jährige Norwegerin Kjersti Oestgaard Buaas. Pic by Christian Stadler.
Pirouettenwahnsinn
Beim grellen Sonnenlicht am letzten Finaltag der European Open hatten düstere Gedanken auf alle Fälle keine Chance. Da war eher Schwitzen angesagt. Für die vielen Zuschauer, die wie aufgefädelt an der 140 Meter langen Superpipe standen, wegen ihren warmen Jacken und für die Riderinnen und Rider wegen des hohen Levels beim Half Pipe Finale.
Das Pricegiving der Frauen für die Kategorie Half Pipe. Von links nach rechts: Kjersti Oestgaard Buaas (NOR), Kelly Clark (USA) und Paulina Ligocka (POL). Pic by Christian Stadler.
Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber ich glaube nicht, dass ich je so viele schwungvolle Pirouetten, also Back- und Frontside 720s, 900s, und vor allem 1080s, an einem Tag gesehen habe. Da übertrumpfte der eine den anderen nur mehr mit einer riesigen Airtime, spektakulären Höhe oder Style bedingten Grap-Qualitäten. Das geschriene "Uhh, huge big air" war fast bei jedem Run zu hören. Im Prinzip lagen die Sitze ganz eng beieinander.
In einer eigenen Liga. Die Half Pipe Gewinnerin Kelly Clark aus West Dover. Auf sie trifft der Daft Punk Song "Harder, better, faster, stronger" an diesem Finaltag auf alle Fälle zu. Pic by Christian Stadler.
Im Women Half Pipe Final sah es etwas anders aus. Kelly Clark schien in einer eigenen Liga gefahren zu sein. Keine ihrer Konkurrentinnen war so hoch, so sicher, so gelassen und geschmeidig, wie die amerikanische Spitzenboarderin, die mit ihren sechsundzwanzig Jahren im Snowboardzirkus schon eher zu den älteren Eisen gehört. Überaus bemerkenswert waren die Roxy Girls. Neben der Slopestyle Gewinnerin Lisa Wiik holten sich gestern die Norwegerin Kjersti Oestgaard Buaas und Paulina Ligocka aus Polen beim Half Pipe Contest den zweiten und dritten Podestplatz.
In der halben Pfeife geraucht
Das Half Pipe Finale der Männer war an Spannung wohl nicht zu überbieten. Nachdem sich all time favourite Shaun White im Slopestyle mit dem dritten Platz begnügen musste, wollte er es gestern Freitag wissen. Das System "Der beste von drei Läufen zählt" trug dazu bei, dass jeder Fahrer viel riskieren musste, um mithalten zu können. Nach zwei Durchgängen führte Shaun White klar mit 92.33 Punkten vor dem Schweizer Iouri Podladtchikov und dem Letztjahressieger Kevin Pearce.
Die Schweizer waren dieses Jahr stark vertreten. Auch wenn es knapp nie zum Sieg gereicht hat, so war der gute dritte Platz vom Züricher Iouri Podladtchikov fast schon Gold wert. Pic by Marcel Lämmerhirt.
Bis zur letzten Minute zweifelte niemand daran, dass der amerikanische Superstar noch getoppt werden könnte. Matthieu Crepel legte beim letzten Run leider keine überzeugende "Kür" hin und auch Iouri fehlte der letzte Kanteschliff bei seinen Tricks. Doch wie im Vorjahr behielt Kevin Pearce als letzter Fahrer mit seinem letzten Lauf die Nerven und rauchte seine Gegner in der sprichwörtlichen Pfeife. Satte 95.50 Punkte brachten den sympathischen und etwas verhalten wirkenden Snowboarder zu Recht aufs Siegerpodest.
Der überragende Sieger. Kevin Pearce zeigte auch dieses Jahr bei seinem letzten Run Nerven und übertrumpfte seine Konkurrenten mit einem sauberen und akrobatischen Lauf. Pic by marcel Lämmerhirt.
Die Straßen in Laax
Als ich nach dem Abendessen am Weg ins Appartement war, steht plötzlich ein verloren wirkender und unsicher umherschauender Mike Skinner vor mir. Er suche den Raum, in dem er sein Dinner einnehmen könne. Schließlich kommt eine Kellnerin und weist ihm den Weg. Ein kurzer, skurriler Auftritt, der mir ein bisschen verständlicher machte, warum der Streets-Mann keine Interviews geben wollte. Er schien sich zwischen den ganzen Snowboardern nicht gerade wohl zu fühlen. Deshalb löffelte er ganz alleine im Nebenraum seine Suppe, nebenbei in einem fetten Wälzer lesend.
Doch auf der Bühne legte Mike Skinner und seine Band (Bass, Keyboard, Schlagzeug, Samples, MC) die beste Performance der Woche hin. Nach einem 1080 beim Crowdsurfen hielt er die Boarder mit beschwörender Gestik in Schach.
"Can you see me?" Mike Skinner at his best. Pic by Christian Stadler.
"Now we all gonna jump. Can you see me?" Dass musste Mike Skinner den Topfahrern nicht zweimal sagen. Aber es ging auch anders. "When he's playing the piano, you all go very low. Can you hear me?" Und tatsächlich ging ein prall gefüllter Club in die Knie, nur um bald darauf auf Zeichen von Skinner mörderisch in die Höhe zu springen und richtig abzugehen. Einen besseren Abschluss für ein Snowboard Contest Jubiläum kann es wohl nicht geben.
"Now we all gonna jump!" The Streets mit ihrem besten big air. Pic by Christian Stadler.
Resultate
Herrn 1) Kevin Pearce (USA) - 95.50 Punkte
2) Shaun White (USA) - 92.33 Punkte
3) Iouri Podladtchikov (SUI) - 89.33 Punkte
Damen 1) Kelly Clark (USA) - 94.17 Punkte
2) Kjersti Oestgaard Buaas (NOR) - 85.33 Punkte
3) Paulina Ligocka (POL) - 81.17 Punkte