Es kann kann plötzlich auftauchen. Nicht selten ist eine bestimmte Filmszene daran schuld, ein packender Artikel oder eine aufregende Fotostrecke in einem Magazin. Ein E-Mail mit einer euphorisierenden oder auch bitterbösen Nachricht. Ein dementsprechendes Telefongespräch. Oder was auch immer.
Mit einem Mal beginnt dann mein rechter Fuß hektisch zu zucken, das Herz klopft, meine Gedanken rotieren wild. Da ist sie wieder, meine latente innere Unruhe. I'm on natural speed. Hätte ich nicht schon vor Ewigkeiten zu rauchen aufgehört, ich bräuchte jetzt ein ganzes Päckchen.
Gehetzt marschiere ich dann in der Wohnung auf und ab oder laufe völlig weggetreten die Strassen entlang, wenn es mal an der frischen Luft passiert. Schlaflos wälze ich mich im Bett, wenn mich ein Anfall spät in der Nacht erwischt.
Ruhelos singen und schwitzen
Vor einigen Tagen war es wieder soweit. Zufällig bin ich beim üblichen Herumzappen auf das neue Video von The Kills gestoßen. Nein, jetzt bitte nicht mit den eher belanglosen The Killers oder den ganz und gar fadgasigen The Thrills verwechseln. Ich meine das anglo-amerikanische Duo mit den lustigen Pseudonymen VV und Hotel, das 2003 ein bluesig-krachiges Debütalbum mit dem tollen Titel 'Keep On Your Mean Side' veröffentlichte. Eine Platte, die ich damals ziemlich okay fand, aber jetzt nicht weltbewegend wichtig.
Der Clip zu 'The Good Ones' bescherte mir dagegen eine der erwähnten Unruhe-Attacken. Du liebe Güte. Und das Schöne in diesem Fall: The Kills verkörpern in dem Video und dem dazugehörigen Song genau dieses beschriebene Gefühl, dass notorische Schnarchsäcke überhaupt nicht nachvollziehen können. Restless Rock'n'Roll ist da hören, ungeheuer minimalistisch, ungeheuer intensiv, verdammt sexy. Musik, die aber weniger zum Tanzen einlädt und schon gar nicht zum Headbangen.
The Kills
Stattdessen stehen VV und Hotel zittrig auf der Stelle, schwitzen und singen sich aus nächster Nähe an, ruhelos, ekstatisch. Dazu tuckert reduziert eine (essentielle) Drumbox und rundherum sieht es aus wie in der legendären Warhol-Factory, trinkende und mitwippende schöne Menschen, weißes Rauschen auf vielen Bildschirmen, die schwarzweißen Sixties treffen am Ende in einem pinkfarbenen Rausch die grellen Neo-Achtziger.
When b&w goes pink: Das grandiose Video zu 'The Good Ones'
Natürlich drängen sich The Velvet Underground auf, The Jesus & Mary Chain, Patti Smith und Polly Harvey. Aber das sind nicht nur ohnehin keine schlechten Referenzen. Im Vergleich mit Bands, die sich bei einem ähnlichen Retro-Repertoire bedienen, haben die Kills noch was ganz Eigenes, Neues, Frisches. Wer will schon in der Vergangenheit leben?
Das bestätigt sich, als ich bald darauf das neue Album 'No Wow' anhöre und mein Körper sofort auf den gleichnamigen Opener reagiert. Yeah, Baby, yeah. Die haben diese Platte im Fieber gemacht, sage ich euch. Und bleiben trotzdem so saucool darauf, dass man Alison Mosshart und Jamie Hince, wie The Kills mit bürgerlichem Namen heißen, sofort als zeitgenössische Ikonen akzeptiert. Seit Nancy & Lee und Martina & Tricky und Peaches & Iggy hat mich ein singendes Musikerpärchen nicht mehr so mitgerissen.
VV und Hotel
Zusammen mit dem verwunschenen Zweitling von Patrick Wolf, mit den glühenden Arcade Fire, mit dem Krautrock-Pop von M83, dem Electro-Wahnsinn von Mu und natürlich dem LCD Soundsystem ist 'No Wow' eines der wundervollsten Mittel, um die Winterdepression zu überwinden. Auch wenn man vor lauter Unruhe vielleicht nicht mehr klar denken kann.