Erinnert sich noch irgendwer an die elektronische Revolution der Neunziger, die das klassische Bandmodell abschaffen wollte? Oder wie in dieser Zeit exzessives Bühnenaufreten sofort den Stempel des peinlichen Rockismus trug? Stattdessen sah man plötzlich ehrfürchtig Legionen von blassen und unscheinbaren Männern beim öffentlichen Abrufen ihrer E-Mails zu. Und feierte die DJ-Kultur als einzig möglichen Ausweg aus der Sackgasse der ewig gleichen Rock'n'Roll-Klischees.
Heute wirkt diese Ära für das Gros der Bewohner von Hipland unglaublich weit weg. Weil das pophistorische Pendel eben wieder einmal genau in die Gegenrichtung ausgeschlagen hat. Nach dem Sturz der Powerbook-Diktatoren regieren längst wieder die Absolutisten der Gitarren-Fraktion mit ihren Armeen von Second-Hand-Lederjackenträgern. Und fast alle tun so, als ob nie etwas anderes gewesen wäre.
Natürlich haftet diesem ganzen Spiel etwas Lächerliches an. Die puren Retro-Träume mancher aktueller Garagenrocker wirken ebenso absurd wie der einstige quasi-religiöse Fortschrittsglaube der Elektronik-Jünger. Weshalb der wirkliche Applaus jenen musikalischen Freigeistern gebührt, die die tagesaktuellen Dogmen stets unterwandern.
Und das bringt uns endlich zu zwei höchst unterschiedlichen Acts, die innerhalb der vergangenen Woche auf heimischen Bühnen zu sehen waren.
Kill, Baby, Kill
Trotz viel zu geringer Lautstärke und einem teilweise phlegmatischen Publikum befinde ich mich am Montagabend im Wiener Flex in einem euphorischen Zustand. Weil die zwei einsamen Figuren on stage einfach so vieles richtig machen. The Kills tun nicht so, als würden wir noch in den Sixties leben, sie gaukeln keinen putzmunteren Zustand des Rock'n'Roll vor. Die Musik, die aus den Boxen dröhnt, bedient sich zwar klassischer Mittel, entstammt aber eindeutig dem unidyllischen Hier und Jetzt.
Und da ist die Sache mit der Monotonie. Kompromisslos und zum genial-simplen Tuckern eines Drumcomputers geben sich VV und Hotel der hypnotischen Kraft der Wiederholung hin. Kein großer Ausbruch beim Refrain, kein tausendfach gehörtes und von faden Alternative Rockern bis zum Erbrechen exerziertes Laut-Leise-Schema.
Dieses magische Auf-der-Stelle-Treten, diese bewusste Stagnation verbindet The Kills mit repetitiven Legenden wie The Velvet Underground, Suicide oder The Jesus and Mary Chain ebenso wie mit spannenden Electro-Artists. Und es entfernt sie von Zusehern, die bei Livegigs ihre kleinen, berechenbaren Emotions-Explosionen brauchen.
Dabei agieren VV und Hotel alles andere als kühl, im Gegenteil. Sexy as fuck tänzeln sich die beiden bei fiebrigen Meilensteinen wie 'Love Is A Deserter' an. Nur entlädt sich die Spannung eben nie richtig. Und das ist genau der Punkt. This is not a simple Rock'n'Roll-Show, das ist kein Hollywoodfilm, hier geht es um das richtige Leben und das hält auch nicht immer eine (Er-) Lösung bereit.
Monstertruckdriver
Während die Kills eine Verstörung des gewöhnlichen Rock-Publikums riskieren, versucht Marco Haas live zu bekehren. Und zwar sowohl die Techno-Klientel zum Headbangen und umgekehrt. Dass Herrn T.Raumschmiere das besser gelingt, als es sich armselige Crossover-Acts vorstellen können, hat verschiedene Gründe.
Zum einen agiert der Berliner einfach in beiden Welten unglaublich geschmackssicher, er versteht die Gesetze des Vierviertel-Bumm-Bumm so perfekt, wie er mit knackigem Noiserock sozialisiert worden ist. Und dann strahlt Marco einfach noch eine Lässigkeit und einen unglaublichen Charme aus, gegen den beispielsweise die Aggressionsposen eines Alec Empire (gesehen beim Donaufestival in Krems) wie aus dem billigen Heavy-Metal-Fundus wirken.
Nach dem Auftritt von T.Raumschmiere am Donnerstag im Grazer PPC würde ich sagen, der Digital Hardcore-Chef kann sich auch musikalisch ganz viel abgucken. Im Rahmen einer electroiden Nacht des SpringFive-Festivals zeigt sich Marco Haas erstmals mit Bandverstärkung auf einer heimischen Bühne. Instrumentale Monstertruckdriver-Tracks peitschen die ohnehin aufgeganserlte Grazer Crowd auf, mit einer Handvoll tonnenschwerer Vocal-Hardcore-Stücke (Hallo Big Black und Helmet!) walzen die Musiker dann alles nieder. Futuristischer Rave-Rock-Wahnsinn, bei dem auch ein kreischendes Guns'N'Roses-Zitat locker Platz hat.
"Der T.Raumschmiere hat soeben meinen Lieblings-Durchgeknallten Andre 3000 vom Thron gestoßen", bemerkt die anwesende Natalie Brunner. Du liebe Güte, so und nicht anders muss Gnackwatschen-Musik 2005 klingen.