Get Well Soon sind meine Lieblings-Arcade Fire. Get Well Soon sind meine Lieblings-Beirut. Schlagt mich ruhig, aber Get Well Soon sind in diesem Jahr auch meine Lieblings-Radiohead.
Seit ihrem wunderbaren Auftritt gestern im Wiener WUK, meiner ersten Livebegegnung mit der Band, wo sämtliche Einflüsse, die man Konstantin Gropper & Co. so nachsagt, zu einem ganz eigenen Ding verschmolzen, sind Get Well Soon auf jeden Fall auch meine Lieblings-Get Well Soon.
Die Vorband Port O'Brian
Mir fällt mitten im Konzert, im Zusammenhang mit den vielen Vergleichen, die den jungen Herrn Gropper und sein Projekt verfolgen, ein Interview mit Thomas Meinecke ein, das sich in der heimischen Zeitschrift 'faq' findet.
"Ständiges Recyclen, das Erkennen von ästhetischem Zugewinn, wenn sich etwas wiederholt, das sind die Herausforderungen, die die Popkultur generell stellt, nicht nur die Musik", erklärt der Mann da.
Und dann sagt Meinecke einen Schlüsselsatz, mit dem ich mich nicht nur selber perfekt identifiziere. Ich möchte ihn auch gerne ausschneiden und allen neunmalklugen Kritikern und Berufs-Besserwissern über den Schreibtisch
hängen: "Wenn Phänomene in abgewandelter Form wieder auftauchen, denken viele Leute, dass die Abwandlung so etwas ist wie ein Verlust, ich empfinde das als Hinzugewinn."
Es gibt genug popkulturell sozialisierte Veteranen, die immer noch vergeblich auf das next big thing, so hat das früher einmal geheißen, warten und warten, die nach dem total Neuen gieren, dem ganz Anderen, dem noch nie Gehörten. Und es gibt sogar Menschen unter Dreißig, die diesem traurigen Hobby nachhängen.
Dabei, und das ist der Punkt von Thomas Meinecke, wimmelt es nur so vor elektrisierenden Phänomenen, die einfach andere Phänomene aufsaugen und daraus wieder respektvoll etwas Eigenes erschaffen. Der essentielle Hauch Originalität, ohne den alles nur in der Copycat-Pose und Retrotrottel-Haltung verharrt, resultiert dabei aus der Sozialisation des Künstlers, aus dessen Umfeld, aus einer persönlichen Geschichte.
Dieser Hauch reicht für ein tolles Album, für einen oder mehrere geniale Songs oder einen solch herrlichen Abend wie gestern im WUK.
Man muss sich einfach trauen, die Sozialisation und die persönliche Geschichte in sein Schaffen einsickern zu lassen und das mit all den inspirierenden Einflüssen, die herumflirren, zu verbinden.
Natürlich braucht man besonders viel Mut, wenn die eigene Biografie zunächst mal wenig hergibt, außer einer durchschnittlichen Kindheit in der Provinz, einer akademischen Ausbildung, einem eher als pingelig verschrienen Zugang zur Musik. In einer Welt, die medial noch immer mit den ewig alten Rock'n'Roll-Mythen gefüttert wird, mit Klischees von Arbeiterklasse-Rowdytum, Backstage-Sex, harten Drogen, Selbstverletzungen, dem ganzen Doherty-Unfug, ist ein sanftes Streberimage nicht gerade der Traum.
Konstantin Gropper, und das sind jetzt alles bloße Vermutungen, kümmert aber dieser ganze Image-Überbau in keinster Weise.
Während sich andere junge Melancholiker-Buben im Spinnengewebe der Mythen verfangen und obsolete Junkie-Posen aus der Vergangenheit nachstellen und ihre Musik daraus genau gar keinen Mehrwert generiert, macht er etwas ganz Konträres. Ganz locker lässt er seine offensichtliche musikalische Obsession mit den legendären Schwerenötern und Dunkelmännern des Pop/Rock, mit den Stimmen, die manchen Hörer über die offene Klinge laufen lassen, auf eine höchst bürgerliche Erziehung prallen, auf ganz viel Musikunterricht und studiertes Können.
Und aus diesem vollkommenen musikalischen Verständnis für die beste traurigste Musik, die es gibt, und einer gewissen Wohlerzogenheit, die nur Dummköpfe als brav missverstehen, entstehen dann spezielle Abende wie der gestrige.
Was einer wie Konstantin Gropper, der - Achtung, wieder Vermutung - wahrscheinlich zu Hause sitzt und übt und minutiös plant und nachdenkt, während andere der ruinösen Reputation nachhetzen, was so einer der Konkurrenz voraushat: Er geht an die Musik und den Liveauftritt mit dem Blick eines Regisseurs heran.
Ich liebe Konzerte, die zum großen Kino werden. Und ich verehre Band-Masterminds, die zu strengen Live-Regisseuren mutieren, die einen Sinn für ein entscheidendes Quäntchen Inszenierung haben. Und das bitte jetzt nicht mit übertriebener Theatralik oder dem Bühnenpathos verwechseln, das zum Markenzeichen von beispielsweise Trent Reznor wurde.
Get Well Soon beherrschen auch in diesem Fall, und das bringt mich wieder zum selben Punkt zurück und hat mich gestern am positivsten überraschten, die Kunst der Brechung.
Sie setzen auf große Gesten und riesige Luftballons an der Decke, auf winterliche Schneelandschaften auf Videowalls und das alles zu dieser ohnehin hochdramatischen, exakt auf den Punkt und den einzelnen Ton gespielten Musik. Und sie kontrastieren den Overkill an melancholischen Zeichen, purer Schönheit und exakter Präzision mit Bodenständigkeit und Witz.
"Und jetzt noch ein Partyknaller", schmunzelt der unglaublich sympathische Frontmann, der ständig auch den eigenen Ruf karikiert - und schon spielt die schnuckelige Band wieder einen ihrer vielen Todesschlager zum Mitsummen.
Die eingangs erwähnten Berufs-Lästermäuler beklagen ja immer wieder gerne den Verlust der Intensität im aktuellen Außenseiter-Pop. Früher, jammern sie, war alles härter, abgefuckter, stockdunkler, früher regierte der Heilige Ernst.
Aber früher ist gestern. Konstantin Gropper steht für eine Generation, die viel souveräner agiert. Weil Typen wie er das ganze Leben zulassen: die klaffenden Abgründe, aber auch den trivialen Alltag, die Trauer und das scherzhafte Gelächter, das Pathos und die Banalität.