Manchmal ist es ganz gut, einen wechselhaften Schlafrhythmus zu haben. Wenn man sich ohnehin einmal schon um Elf am Abend, dann erst wieder um Sechs in der Früh in die Federn wirft, wundert sich der Körper auch nicht, wenn es mal weit über 24 Stunden gar keinen Schlaf gibt. Dem Jet-Lag soll man bekanntlich nicht nachgeben, und wer Vize-Weltmeister in Pac-Man ist, sollte sowas ja wohl problemlos durchstehen können.
Trotzdem, gestern am frühen Abend ließen sich die Sekundenträume dann nicht mehr länger abwimmeln und erst nach einer Ruhezeit von 12 Stunden konnte ich die vielen Erlebnisse meiner schier unglaublichen Pac-Man Reise in meinem Hirn wieder vernünftig sammeln und ordnen.
Über den Atlantik
Alles fängt im Flugzeug gen Ostküste an, wo sich meine Begleitung Christian und ich nicht nur dem üblichen Zeitvertreib (Essen, Lesen, Musik hören) hingeben, sondern auch ein bisschen üben. Pac-Man versteht sich. Denn dabei sein ist zwar alles, aber ein wenig Training kann ja doch nicht schaden.
Lange, nachdem der Akku des Laptops leer ist und die Formalitäten der Immigration überstanden, steht da auch schon der nette ältere Herr mit dem Namensschild und dem unverkennbaren Logo. Cab-Driver sei ein guter Job, um sich die Pension ein wenig aufzufrischen meint er, und außerdem hat er bis jetzt nur nette Leute getroffen. Ein charmanter Empfang und ein gutes Omen für die kommenden Tage.
Pacfreundschaft
Wir sind ein bisschen spät dran, also geht's nur schnell ins Hotelzimmer zum bag drop und gleich wieder in die Lobby zur Registrierung. Organisatorin Rae-Ann sitzt neben dem hoteleigenen Pianisten, wo bereits einige der Teilnehmer versammelt sind.
Als erstes sticht mir das britische Sohn-Vater Paar ins Auge, gefolgt von jungen Neuseeländern und einigen junggebliebenen Herren, die eindeutig bereits Anfang der 1980er Jahre ihre Highscores aufstellten. Und, unglaublich: Auch Billy Mitchell, eine Art Gaming-Celebrity, der 1999 als erster das sogenannte perfect game in Pac-Man erzielt hat, ist da und offensichtlich einer meiner Kontrahenten. Ich fühle mich eine Weile etwas deplatziert, erst das Kennenlernen von Daniel, dem mexikanischen Teilnehmer, bringt mich wieder ein bisschen in Schwung. Aber nun ist es ohnehin Zeit für's Abendessen: Auf geht's in den 'Supper Club'.
Die große Überraschung
Wie der Supper-Club von innen aussieht, habe ich ja bereits hier kurz angedeutet. Als wir ankommen, ist dort noch alles mitten im Aufbau. Trotzdem sind wir schon jetzt verblüfft, wie aufwändig alles ist: Riesige Kartonfiguren hängen an den Wänden, rote Plüschhocker sind mitten im Raum und liebevoll gestaltete Spielstationen für die zehn Teilnehmer stehen in Reih und Glied.
Bevor's ans Essen geht, werden wir kollektiv begrüßt und Zeuge einer Sensation, wie es heißt. Wir wären die ersten die das sehen und überhaupt, wir würden uns gleich sehr wundern.
Gesagt, geschehen: Auf dem großen Screen sehen wir eine Version von Pac-Man, die uns zunächst fremd ist. Pac-Man ist das noch, allerdings in glühenden Neonfarben und in High Resolution. Mit Punkten, die an unterschiedlichen Stellen aufgedeckt werden. "Progressive dot revelation! stößt Dwayne, der kanadische Teilnehmer, begeistert aus und starrt wie wir restlichen Neun auf die Leinwand. Noch verblüffter werden wir erst, als bekannt gegeben wird, dass es diese neue Pac-Man Championship Edition ist, mit der die Weltmeisterschaft ausgetragen wird. Die Karten werden neu gemischt!
Übung macht die Meister
Endlich geht's in ein gemütliches und mit gedämpftem Licht versehenes Ess- und Besprechungszimmer im oberen Stockwerk, wo man uns - dem Geek-Klischee entsprechend - mit Riesenpizze und Softdrinks versorgt. Wegen der aufregenden Kundgebung davor sind mittlerweile leider nicht nur die Limonaden sondern auch der Teig kalt. Die Plastikmesserchen können wir nun guten Gewissens beiseite legen und stattdessen die Substanz unserer Zähne testen.
Danach ist es soweit: Wir legen zum ersten Mal Hand an den neuen Pac-Man an. Circa zwei Stunden bekommen wir Zeit für die erste Trainings-Session. Die Teilnehmer verbringen diese Zeit zum Spielen - und natürlich zum Auschecken der anderen. Doch schon jetzt macht sich eine positive Grundstimmung bemerkbar. Wirklich unwirsch oder gewinnbesessen scheint niemand zu sein, dafür gibt es einen Generationenkonflikt: Die alten Hasen, die es gewohnt sind, in der rechten Hand den Joystick zu halten, sind offensichtlich keine Gamepads gewohnt. Die etwas umständliche Lösung: Man nehme mit der rechten Hand den linken Analogstick und zweckentfremde ihn als Joystick.
Mexico is chillin': Daniel (rechts) und sein Begleiter Raffael beim Entspannen vorm Training.
Erste Versuche: Der junge britische Teilnehmer James mit seinem ebenso videospielbegeisterten Vater.
One of the oldschool: Tim Balderramos hat ebenfalls das 'perfect game' geschafft. An die neue Version von Pac-Man samt Eingabegerät muss er sich aber noch gewöhnen.
Einmal drüber schlafen
Die erste Übungs-Session ist vorbei. Die Organisatoren wünschen uns eine gute Nacht - wenn wir vor lauter Aufregung überhaupt zum Schlafen kommen würden. Dabei ist es weniger die Aufregung als das eifrige Hin- und Herüberlegen, welche Strategie sich am Tag des Turniers am besten eignen würde, das uns so beschäftigt. Doch der lange Tag und die dementsprechende Erschöpfung sorgen dafür, dass der nötige Schlaf wie von selbst kommt. Morgen ist auch noch ein Tag. Und was für einer!
Let the games begin
Dienstag früh: Beim Frühstück im Supper Club gibt es ein erstes Briefing. Was heute passieren, wer aller kommen (Presse, Presse und noch mehr Presse) und wie das alles ablaufen wird. In fünf Runden werden pro Runde zwei Durchgänge (je fünf Minuten) gespielt. Beide Highscores jedes Spielers werden zusammengezählt, jene zwei Spieler mit den niedrigsten Punkten steigen nicht in die nächste Runde auf.
Bis zum Turnierstart bekommen wir weitere Trainingszeit. Während die letzten Kniffe geprobt werden, treffen bereits die ersten Journalisten ein und fotografieren und filmen jene, die sie bereits kennen: Billy Mitchell, Videospiel-Profi und owner of a hot sauce company, tritt wie gewohnt mit gut gebürsteter Gnackmatte, Vollbart, Stars and Stripes-Krawatte und breitbeiniger Cowboy-Attitüde auf. Er wird von seinem langjährigen Mentor Walter Day flankiert, der mit ihm bereits im Jahr 1983 unterwegs war, als Day das erste Pro-Gaming Team der Geschichte organisiert und geleitet hatte.
Walter Day präsentiert stolz die neue Auflage des 'Official Video Game & Pinball Book of World Records'. Mitchells Scores sind selbstverständlich auch drinnen.
Es geht los
Als hätte es Mitchell geahnt, dass heute irgendetwas anders sein würde, hat er sicherheitshalber vorab verkündet, dass er seinen ass whipped bekommen würde. Und tatsächlich: Schon nach der ersten Runde ist er punktemäßig im unteren Drittel angesiedelt. Ich selbst lege das Joypad nach getaner Arbeit weg und schaue Christian fragend an. Der nickt mir beruhigend zu und gibt zu erkennen, dass alles im Lot wäre. Aufstieg in die nächste Runde - gar kein Problem.
Ergebnisse nach Runde 1: Mexiko liegt eindeutig in Führung, gefolgt von den Europäern und Kanada. Taiwan und Neuseeland sind draußen.
Die mittleren Runden
Jetzt ist klar, wer die Favoriten sind bzw. zwischen welchen Spielern die Punktejagd besonders eng wird. In den folgenden Runden schafft es kaum jemand, seine Spielleistung maßgeblich zu verbessern - dafür ist die Anspannung wohl zu groß. In Runde zwei sacke ich leicht ab, der Einzug in die dritte Runde geht sich aber trotzdem eindeutig aus. Danach platziere ich mich erneut im guten Mittelfeld.
Ich nutze die Pausen zwischendurch, um geistig aus mir rauszugehen und das ganze Geschehen mit all seiner Spannung und Abgedrehtheit aus einer Beobachterperspektive zu betrachten. Aber Zeit für Analyse ist später, jetzt ist vielmehr Wasser trinken und Konzentration angesagt. Und los, wieder zurück auf den Sessel und das Joypad in die Hand. Alle bereit?
Nach Runde 3: Man beachte den plötzlichen Namenswechsel des mexikanischen Spielers. Es war aber immer ein und derselbe, ich schwör's.
Zittern vorm Finale
"Jetzt wird die Luft dünn!" krächze ich überdreht Christian zu, nachdem fest steht, dass ich bei den Top 4 dabei bin. Carlos Daniel Borrego Romero zu schlagen, scheint utopisch - sein Einzelscore beträgt immer weit über 200.000 Punkte, was von den restlichen Spielern zu diesem Zeitpunkt niemand schafft.
In der vierten Runde angekommen, denke ich mir, dass nun zumindest der dritte Platz eine feine Sache wäre - immerhin ein Stockerlplatz. Von dieser Idee beseelt, lege ich im ersten Spiel einen tollen Punktestand von beinahe 200.000 hin und stoße ein beherztes "Yes!" aus, das die umstehenden Organisatoren einigermaßen belustigt - galt ich doch bis vor kurzer Zeit noch als netter, aber eher zurückhaltender Außenseiterkandidat. Das zweite Spiel wird dann allerdings zur Enttäuschung: Gerade mal so an die 130.000 Punkte. Der dritte Platz, geschweige denn ein Einzug ins Finale scheint in weite Ferne gerückt. Oder?
Ha! Da war ich wohl nicht der einzige mit leicht zittrigen Fingern. Knapp, aber eindeutig: Das Finale ist mein!
Truly neck on neck
Natürlich: Für das Finale haben sich die Veranstalter etwas besonderes einfallen lassen. Das äußert sich zunächst mal in: Warten, Spannung erzeugen, die zig Fotographen und Fernsehteams vor die Bühne locken. Pac-Man selbst wird quasi in Fleisch und Blut in Stellung gebracht und sein Schöpfer on stage gebeten: Videospiel-Designer Toru Iwatani.
Nach kräftigem Aufputschen und Abfeiern werden Daniel und ich auf die Bühne geleitet: Einer in die linke, der andere in die rechte Ecke. Jeder von uns bekommt einen eigenen Kommentator zugewiesen, auf der Leinwand kann das Publikum im Split-Screen der finalen Punktejagd zusehen.
Durch die Tatsache meines Finaleinzugs mittlerweile recht relaxed, greife ich das Joypad ein letztes Mal und gobble drauf los. Während des Spielens vernehme ich Wortfetzen wie "look, they're truly neck on neck ... you're watching some of the best Pac-Man players ...". Ich merke, dass ich in der letzten Minute des Spiels nicht optimal spiele, aber bevor ich mir dazu groß Gedanken machen kann, ist auch alles schon wieder vorbei. Händeschütteln mit meinem Kommentator, ein kurzer Blick nach oben, und es ist klar: Mexiko hat auch in der heißesten Phase seine Geistesgegenwart bewahrt und ist somit der verdiente Sieger.
Bitte alle Teilnehmer noch mal auf die Bühne: Gruppenfoto mit Pac-Man!
Dance the dots! - Pac-Man mit Papa und seinen zwei Lieblingspiloten.
Herzlichen Dank für die gute Führung!
Never stop eating! - Pac-Man Erfinder Toru Iwatani zeigt vor, wie's geht. Aber, Iwatani-san, dem Champion muss man sowas doch nicht erklären! Außerdem ist die Spielanleitung auf der gewonnenen Xbox 360 in unikem Pac-Man Design ohnehin mit drauf.
Happy and proud: Die Gewinner, medaillenbehängt.
Danke an
* Christian Piererfellner fürs Helfen beim Fotos machen, die mentale Unterstützung und die tolle gemeinsame Zeit in NYC.
* dem charmanten Empfangskomitee am Flughafen nach der Ankunft - ihr seid super!
* Pia Reiser für's Gestalten des Pac-Man WM 2007-Layout.