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Europa | 13.3.2008 | 20:30 
Tektonische Tellerrandverschiebungen, wechselnde Weltveränderungen und zarte Zivilisationskritik

Farkas, Andreas

 
 
...das Vergessen und das Erinnern
  "People don't want to remember. They want to go on with their lives, they have children.
So the memory seems to disappear but actually it hasn't disappeared yet."
sagt der indische Künstler Amar Kanwar über die Generation, die 1947 traumatische Erfahrungen in Pakistan und Indien gemacht hat.

Ähnlich geht es aber auch der Familie Thyssen Bornemisza, deren prominentester Spross, Francesca Habsburg - eine geborene Thyssen Bornemisza - mit ihrer Privatstiftung die Arbeit von Amar Kanwar finanziert hat.

(Bericht über die Ausstellung "Other than Yourself" hier.)
 
 
 
  Francesca Habsburg beruft sich auf die Tradition des Kunstsammelns ihrer Familie, die über mehrere Generationen die zweitgrößte Kunstsammlung Europas angehäuft hat. Im Jahr als ihr Vater starb gründete die Milliardärserbin ihre eigene Privatstiftung.

Wie geht die Familie mit ihrer eigenen Vergangenheit um?
 
 
 
Thyssen-Bornemisza Familiengeschichte
  August Thyssen gab bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts Skulpturen beim französischen Bildhauer Auguste Rodin in Auftrag und baute nebenbei im deutschen Ruhrgebiet ein Stahl-Imperium auf, das Waffen für den ersten, später auch für den zweiten Weltkrieg produzierte.

 August Thyssen
(1842-1926)
 
 
  Sein Sohn, der Industrielle und Bankier Heinrich Thyssen heiratete in den ungarischen Adel ein und wurde ab 1907 "Baron Heinrich von Thyssen-Bornemisza" genannt. Er lässt sich auf Schloss Rechnitz nieder und etabliert hier seine ständig wachsende Kunstsammlung.

 Heinrich Thyssen
(1875-1947)
 
 
  Heinrichs Bruder Fritz Thyssen, der bereits seit 1923 als einer der größten finanziellen Förderer der NSDAP und Befürworter Adolf Hitlers aktiv ist, gründet 1926 - nach dem Tod des Vaters - die Vereinigte Stahlwerke AG, Heinrich sitzt im Aufsichtsrat.

1932 transferiert Heinrich seine Kunstsammlung von Schloss Rechnitz auf ein Anwesen in der Schweiz. Im zweiten Weltkrieg macht die Familie finanziellen Gewinn.

 Fritz Thyssen: I Paid Hitler, London 1941
 
 
Adolf Hitler, Hermann Göring und Fritz Thyssen
Photographie; Fritz Thyssen hatte Hitler eingeladen am 27. Januar 1932 eine Rede im Industrieclub
Düsseldorf zu halten.
(Deutsches Historisches Museum, Berlin
F 64/642)
 
 
Schloss Rechnitz
  Schloss Rechnitz und die Geschehnisse dort gegen Ende des zweiten Weltkriegs sind im vergangenen Herbst durch einen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wieder in die deutschsprachige Medienöffentlichkeit gelangt.

Der britische Autor David R.L. Litchfield hat mit seinem Buch "The Thyssen Art Macabre", das noch dieses Jahr auf deutsch erscheinen soll, die kunstliebende Familie Thyssen in Zusammenhang mit einem Massaker gebracht.

Die Geschehnisse im März 1945 in Rechnitz im Burgenland sind gut dokumentiert. Um das Vorrücken der roten Armee zu verhindern, wurde das verzweifelte Projekt "Südostwall" geplant, ein Stellungssystem, das von den Weißen Karpaten bis nach Zagreb reichen sollte. Im November 1944 wurden etwa 30.000 ungarische Juden auf Fußmärschen von KZs im Osten nach Österreich getrieben um hier kilometerlange Panzergräben zu graben.

Am 24. März 1945 gelangten 200 von ihnen, die bis dahin zu ausgehungert, zu schwach und zu krank waren um zu arbeiten, nach Rechnitz.

 Schloss Rechnitz im Burgenland
 
 
24. März 1945
  An diesem Abend gibt Gräfin Margit Batthyany, geborene Thyssen Bornemisza, ein Fest auf Schloss Rechnitz, ein Gefolgschaftsfest für die lokale NS-Elite. Zehn Tage später werden die Sowjettruppen Rechnitz erreichen. In der Nacht wird die Feier unterbrochen, 180 Menschen werden in der Nähe des Kreuzstadls erschossen, danach gehen die Gäste zurück aufs Fest. 18 Menschen werden am Tag darauf erschossen.

Die beiden Hauptverdächtigen des Massakers entkommen, die Gräfin soll ihnen zur Flucht verholfen haben. Während den Ermittlungen werden noch 1946 zwei Zeugen ermordet. Das Massengrab der ungarischen Zwangsarbeiter wurde trotz modernster Suchmethoden bis heute nicht gefunden.

 Quelle: Refugius
Ein Mahnmal erinnert an die in der Nähe des Kreuzstadls ermordeten ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiter.
 
 
  Francesca Habsburg wollte dazu nicht Stellung nehmen. Die Kustodin ihrer Sammlung, Daniela Zyman sieht die Aufklärung der eigenen Vergangenheit aber als untrennbar von der Arbeit als Stiftung.
 
 
 
Gedenken
 
 
 
 
 
 
  Die in den USA lebende Ärztin Judita Hruza hielt anlässlich einer Gedenkveranstaltung in Rechnitz am 25.März 2001 eine Rede (pdf):


" ... Ich war eine der ungarischen SklavenarbeiterInnen, die den Ostwall auf der ungarisch-österreichischen Grenze bauten und ich verbrachte vier Monate im Lager bei Köszeg, wo wir schanzen mussten. Ende März 1945 wurde das Lager evakuiert und die Häftlinge nach Mauthausen transportiert. Ich war in der Gruppe, die nach Rechnitz kam und nach wenigen Tagen weiter ging. Von Mauthausen sind wir Ende April weiter marschiert und endeten im Lager Gunskirchen, wo wir am 5. Mai 1945 von der US-Armee befreit wurden.

Ich möchte nur einige Worte über die Verhältnisse in den Lagern und die Märsche sagen, damit sie sich meine eigenen Erfahrungen besser vorstellen können.

Die Lager waren mehrfach überfüllt, es gab keine Heizung, kein Licht, keine Waschräume, keine Möglichkeit Kleider zu waschen, manchmal kein Trinkwasser, manchmal keine Latrinen. Die Nahrung war täglich eine Rübensuppe, ein halber Liter bis ein Liter, ein Stück Brot zwischen 10 und 40 Deka, manchmal ein halber Liter Kaffee, wenn man arbeitete. Die Lagerführer und die Wächter hatten grenzenlose Macht über Tod und Leben.

Als ich mich in Budapest mit meiner Tante zum Arbeitsdienst melden musste, wie alle Frauen zwischen 16 und 40 Jahren, habe ich mich stark und stramm gefühlt und war zum Überleben entschlossen. Ich hatte vor der Arbeit keine Angst gehabt.
 
 
 
  Vom ersten Tage an wurde mir klar, dass uns niemand zur Arbeit brauchte. Sie brauchten uns zum Sterben.

Am Anfang hatte ich viele Schockerlebnisse. Alles kam wie ein Schock, wenn es das erste Mal passierte. Die erste Nacht, die wir im Freien verbrachten im dichten Oktoberregen. Die ersten Toten, die auf dem nassen Ackerfeld nicht mehr erwachten am Morgen. Der erste Kamerad, der sich, durch den Marsch erschöpft, hinsetzte und auf der Stelle erschossen wurde. Der erste Anfall der Ruhr, die epidemisch wurde, weil wir aus den Pfützen auf den Straßen Wasser trinken mussten. Diese Krankheit war umso schwerer, weil wir uns nicht erleichtern durften und weiter marschieren mussten. Die erste Laus in meinen Kleidern. Ich weinte durch jedes neue Erlebnis.

Ich weinte morgens um 4 Uhr, wenn ich die eiskalten Schuhe an meine verletzten Füße anzog; ich weinte durch die langen Appelle am bitterkalten Morgen, ich weinte durch die Schanzarbeiten, wenn wir die gefrorene Erde bekämpfen mussten und meine Tante tröstete mich: 'Wein nicht, Baby, wenn es zu Ende ist, mache ich Dir heißen Kakao und bring Dir Frühstück ans Bett.'

 
 
 
  In einigen Wochen entwickelte sich eine Kruste über meiner Haut - aus Schmutz und Wunden - und eine andere, unsichtbare über meiner Seele.
Die Tränen waren weg.

Ich merkte kaum die Toten überall um mich herum liegen. Ich lernte stehend und gehend zu schlafen. Ich konnte eine Decke von einer Leiche nehmen und sie benutzen. Ich hatte keine Hemmung, mich in der Öffentlichkeit auszuziehen. Ich lernte, dass praktisch alles zu essen war: Gras, rohe Kartoffelschalen, Schimmel, den manche von ihrem Brot entfernten. Ich lernte, dass es lebenswichtig war, die Läuse täglich einzeln aus meiner Kleidung
herauszupflücken - es waren hunderte - denn wenn man einen Tag ausließ, dann multiplizierten sich die kleinen Bestien und in drei bis vier Tagen saugten sie alles Blut vom Körper aus und man starb am Blutverlust. Ich lernte auch, mich nie krank zu melden. ... "

 
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