Reich ist die Weltgeschichte an Beispielen, die des Menschen Torheit belegen, doch nicht nur das Studium des Gewesenen ist Salpeter für das Fundament jenes Sockels, auf dem wir uns zu sonnen glauben, auch drei Stunden im IC 649 'Archäologischer Park Carnuntum' von Salzburg nach Wien können Anlass zum Grübeln sein. Aber auch Zugnamen. Komet, Orion, Phyrn Eisenwurzen, Venus.
"Hallo Schatz, ich hab gerade total schlechten Empfang. Ich war vorher im Orion, sitzt jetzt im Venus, kann aber gerade schlecht reden, weil drei wildfremde Frauen bei mir sind."
Meistens sitzt man aber in weniger verfänglichen Eisenbahnen, wie etwa dem 'Archäologischer Park Carnuntum', wie ich es vor einigen Tagen tat, als es ein EDV-süchtiger Rüpel zuerst nicht lassen konnte, sich an einem anatolischen Fleischsnack zu vergehen und sich danach zu schnäuzen. In solchen Momenten befürworte ich nicht nur wie stets ein strenges Rauchverbot, sondern wünsche mir, nicht ohne mir der Bedenklichkeit meines Gedankens gewahr zu sein, ganz viele andere staatliche Einschränkungen.
Essen nur in Essenszonen! Und zwar bei Strafe geräuschlos. Schnäuzen nur auf Toiletten. Der Nasenmann und sein flüssiger Schwager, der Rotz, sind Körperausscheidungen und gehören wie alle anderen auch ins Klo, mit einer einzigen Ausnahme: Tränen. Nie schnäuze ich mich in der Öffentlichkeit, wie ich auch nicht meinen Auswurf vor anderer Passanten Schuhwerk speie und mich in meinen eigenen, nur in absoluter Notlage in fremden vier Wänden der Onanie hingebe. Weiters: Keine Telefongespräche im Beisein Fremder und die Verabschiedung eines Gesetzes, Unbekannte nicht in Gespräche verwickeln zu dürfen.
Ruhig Blut, ihr lieben community-Bestandteile, freilich geht meine Phantasie mit mir Gassi, wenn mir derlei in Momenten der Unausgeglichenheit gepaart mit dem Beisein Dritter, die wie Brennpunkte aller Anstandslosigkeit durch die Geographie trampeln, in den Sinn kommt. Schon habe ich mich beruhigt und bin wieder liberal wie eh und je.
Wie auch im Archäologie-Express, wo ich des Rüpels Anwesenheit in Windeseile zu akzeptieren lernte. Doch auch meinem letzten kurz angedachten Gesetz, das die Kommunikation mit eigentlich gerade Kommunikationsunwilligen, aber eben freundlichen Anwesenden einschränken würde, widersetzte sich der Kebab-Flegel. Weil seine Konzentrationsfähigkeit nicht einmal für die mitgebrachte Gratisjournaille ausreichte, glaube er, mich in ein Gespräch verwickeln zu müssen, dessen Transkription den Neologismen-Klassiker smalltalk perfekt illustrierte. In Klammer: Im letzten Satz befindet sich eine feine Halb-Tautologie. Wer sie findet, darf sie nicht behalten, weil sie schon mir gehört.
In Zuge jener 'Unterhaltung' kamen wir unweigerlich auf das Thema Fußball zu sprechen, das uns sogleich zur Niederlage von Bayern München gegen Petersburg brachte. "Juppheidi! Bumsfallera! Juchheißa! Holladihö! Rummtata! Schubidu! Fiderallala! Heidewitzka! Tschingderassabumm!" Ich gebe die Jubelschreie des Zugreisenden vielleicht nicht im genauen Wortlaut wieder, aber gefreut hat er sich wie ein Rohrspatz, und Rohrspatzen können sich ganz schön freuen, wenn sie guten Grund dazu haben. Scheiß Bayern, das war seine Meinung. "Über dich schreib ich eine Kolumne", sagte ich daraufhin nicht, gerne hätte ich aber Hans Krankl zitiert, der so in seiner Freitagabend-Show Franzobel gedroht hatte. Was für Trainingsmethoden! "Und wer zu spät kommt - Dreißig Liegestütz und eine Kolumne". So kommt man nicht zu Bayern München, dort engagiert man redliche Kräfte.
Warum hassen eigentlich außer den Fans des Vereins alle Bayern München? Warum gehören St. Pauli - Trikots zum Dresscode der Sympathischen, während eine Kahn-Textilie Wimpernzucken oder gar Empörung auslöst?
Warum ist der FCB ein Sinnbild für Arroganz und Kapitalismus?
Ersteres sehen Kleinmütige immer, wenn Einzelne oder Gruppen ihrer Stärke und ihr Potenzial artikulieren und sich ihrer Ziele bewusst sind. Immer ganz oben stehen zu wollen und das auch auszusprechen, ist nicht geheuchelt, sondern ehrlich.
Größe kommt von Größenwahn! Und Größenwahn impliziert auch das Scheitern. Bayern München scheitert stilvoller und heroischer als andere Mannschaften, ob auf der großen Bühne, namentlich einem erinnerungswürdigen Champions League - Endspiel oder eben im UEFA Cup - Halbfinale.
Seine Erfolgsgeschichte, die erst in den Siebzigern dank einer perfekten Personalkonstellation, allen voran Maier, Beckenbauer und Müller, so richtig begann, verdankt Bayern München Generationen an markanten, sturen, erfolgshungrigen und genialen, damit natürlich angreifbaren Charakteren. Manche davon führen den Verein noch heute und schaffen damit fast eine familiäre Struktur, die es bei den "Guten" meist nicht gibt. Uli Hoeneß ist ein großartiger, um Nachhaltigkeit bemühter Manager, was sich beispielsweise bei der meist gelungenen Auswahl der Trainer manifestiert, die Mannschaft besticht - wie schon oft in den letzten Jahrzehnten - durch eine Ausgewogenheit zwischen älteren, erfahrenen Spielern, die aber modernen Fußball noch mitdenken und -spielen können und gierigen (im besten Wortsinn) Kräften im besten Alter. Mitläufer sortieren sich von selbst aus, wer nicht die Deutsche Meisterschaft als Minimalziel in den Genen hat, soll zu Dortmund gehen.
Auch ist der FC kein Marionettentheater eines neureichen Russen oder Getränkeherstellers, sondern durch strategisches Wirtschaften in der Lage, für deutsche Verhältnisse knusprige Summen in meist sinnvolle Verstärkungen zu investieren. Würde man die Verpflichtung kostspieliger Kräfte dem MSV Duisburg anlasten, wenn er dazu in den Lage wäre?
Das hätte ich dem Hanswurst gegenüber gerne gesagt, aber auf seinem geistigen Horizont hatten eben nur schwarze und weiße Wolken Platz, alles dazwischen wäre zu viel gewesen.
Dann sagte der Schaffner irgendwann Folgendes durch:
"Ladiiiiiies and gentlemen! Please don't get off the train, we are not in the station!"
Schon war meiner Ausgeglichenheit wieder Genüge getan.