Die Epidemie-gleiche Verbreitung grammatikalischer Klogriffe ist interessant wie oft unbedeutend, denn irgendwann ist das ehemals Unkorrekte einfach richtig. Ich bin jetzt auch kein Wissenschaftler (sehr praktischer Satzanfang), aber ich kann mir gut vorstellen, dass sich Sprachen vor allem deshalb weiterentwickeln, weil im alltäglichen Geplaudere Holpriges, akustisch Reizloses und unnötig Schwieriges einfach weggelassen oder geändert und irgendwann als richtig anerkannt wird.
Dieser Gedanke erleichtert es mir ungemein, nach Jahren der Echauffierung endlich Angriffe verbaler und gar körperlicher Natur gegenüber jenen zu unterlassen, die den bisher so männlichen Kommentar durch sprachliche Kastration ins Neutrum-Reich verbannen. Bis vor gar nicht allzu langer Zeit brauchte ich die doppelte Menge an Frühstücks-Cerealien, um meinen Mehrverbrauch an Energie auszugleichen, der für Schreikrämpfe in Richtung Kommentar-Versächlicher draufging.
Heute habe ich ein wegweisendes Charakter-Update mit dem etwas holprigen Titel 'Noch ein bisschen mehr Toleranz als eh schon' installiert, das mir ermöglicht, auf ein Kommentar zu verzichten und mit einem heiteren Gassenhauer auf den gespitzten Lippen zu denken: "Eh OK. Werden halt alle Wörter auf -ar sächlich. Inventar, Mobiliar, Kommentar."
Zumindest haupt-sächlich. Fritz Muliar klaut Sauce Tartar bei Spar. (Das ist keine Unterstellung, sondern ein Beispiel für Regeluntermauernde Ausnahmen.) Spar müsste im Grunde weiblich sein, da es im Niederländischen Tanne bedeutet, nur so nebenbei.
Dass man in Wien das leibliche Wohl durch eine Eitrige mit einem Sechzehnerblech zu verbessern pflegt, wissen wahrscheinlich mittlerweile prozentuell gesehen mehr Deutsche als Wiener. Zweifelsohne ist es charmant, dass die durch eine mit flüssigem Käse gefüllte Wurst evozierte Eiter-Assoziation sich verbreitet und etabliert, aber andere Österreichische Sprach-Schmankerl, die es nicht in überflüssige 'Wienerisch-Deutsch / Deutsch-Wienerisch'-Produkte aus der Abteilung Last-Minute-Geschenksbuch schaffen, gefallen mir noch besser.
Besonders gut finde ich zum Beispiel, wie mir in Wien schon einige Male beschrieben wurde, dass etwas ein Präsent war: "Die DIM 79 - Dampfabzugshaube mit spülmaschinengeeignetem Metallfettfilter? Die hab ich schenken bekommen."
Das ist schon fast der Jackpot der Grammatik-Ignoranz. Solange Menschen mit Deutsch als Muttersprache sich derartig am Infinitiv die Finger verbrennen, dürfen linguistische Schnitzer türkischer Dönerkebab-Verkäufer* wirklich nicht irritieren.
Mein Gott, die fragen halt "Mit scharf?" und "Mit alles?". Weiß doch eh jeder, was gemeint ist.
Und vielleicht wollen die freundlichen Restfleischverwerter ja in Wahrheit nur wissen, ob der Kunde Schafsfleisch bevorzugt. "Mit Schaf?"
Und vielleicht sagen sie auch nicht "alles", sondern Alois.
Womöglich bedeutet "Mit Alois?", dass man einen besonders würzigen Snack wünscht, da Alois immerhin der zwölfthäufigste Vorname in Österreich ist (erfunden) und somit als Synonym für einen guten Freund durchgeht, mit dem man das geile Brot einzunehmen plant und deshalb ruhig deftig aus dem Rachen duften darf, da die Freundin zu Hause geblieben ist, wo sie von einer lieben Bekannten besucht wird, von der sie Dönerkebab schenken bekommt, das den Gaumen entflammt, weil die Freundin bei der Bestellung der Damenversion von "Mit Alois?", nämlich "Mit Agnes?", zugestimmt hat. Eine Stunde später läuft sich das Paar zufällig über den Weg und bemerkt das bei beiden idente Mahl nicht, weil ja Claudia mit Agnes und Paul mit Alois die Köstlichkeit vernascht hat, sich die beidseitig unerträglichen Mundgerüche also aufheben.
Sollte die Frage allerdings, was ich nach der Entwicklung meiner eben erläuterten Theorie nicht mehr glaube, "Mit alles?" lauten, wäre auch das nicht ganz unberechtigt. Alles im Dativ, sagt sich der Migrant, das geht nicht. Weil:
*Wenn wir schon bei Sprache und kulinarischen Pausenfüllern sind:
Kebab wird laut Duden mit b, in der Türkei allerdings mit p am Ende geschrieben, was nur 'gebratenes Fleisch' bedeutet.
Döner leitete sich vom türkischen Verb für 'drehen' ab, also bezeichnet Dönerkebab eigentlich nur ein sich drehendes, gebratenes Fleisch. Korrekterweise müsste man also ein "Dönerkebabsandwich mit Schaf und Agnes" bestellen.
Verwirrend ist übrigens das Steuergesetz, man möchte fast von einem Steuerdschungel sprechen.
Das Deutsch-Türkische Wörterbuch heißt Steuerwald.
Interessant ist aber auch der marginale Unterschied zwischen Dschungel und Duschgel.
Man kann doch auch nicht alles beugen, nicht alles richtig sagen und außerdem ist alles eh irgendwie wurscht.