Über alle Maßen hinreißend finde ich es, wenn sich Sterbliche jener Gattung, die sich bevorzugt mit den auf den ersten und zweiten Blick dezent inkonsequent anmutenden Attributen kritisch und tolerant schmücken, über das Fernsehen empören. Das sei ja alles nur noch Müll, wird da geflucht, man würde ja regelrecht verblöden, als Zugabe werden noch Kommerz oder seicht aus der Vokabel-Mottenkiste gekramt.
Schweizermesserscharfe Analysen ebenjener Machart gibt es erstens nicht nur für die Television und zweitens sind sie ebenso seicht wie nicht ganz unrichtig (siehe: Stilverlust durch doppelte Verneinungen). Leider schrammen sie aber am Ziel vorbei. Wem oder was (Dativ) will man es vorwerfen, dass inhaltlicher Unrat durch sämtliche mediale Kanäle donnert? Kehrt man die Formel um, laut der sich der Preis durch Angebot und Nachfrage errechnet, ergibt sich das Angebot aus Nachfrage (und Preis), was vielleicht mathematisch nicht astrein, inhaltlich dafür aber astrein ist (Wortwiederholung). Anders ausgedrückt (wozu eigentlich?): Solange Scheiße konsumiert wird, findet sich bestimmt jemand, der sie auch anbietet. Stäche im Wertesystem des Anbieters über Nacht die Moral das wirtschaftliche Denken, käme eben der nächste und würde selbigen ersetzen.
Ich musste einmal eine Podiumsdiskussion moderieren, bei der auch die Journalistin Annliese Rohrer teilnahm. Bei einer kurzen Vorbesprechung lernte ich die resolute Dame als zwar sehr robusten, aber insgesamt herzlichen und humorvollen Menschen kennen. Sie lehnte es ab, ein Getränk einzunehmen und begnügte sich damit, Zigaretten einer mir unbekannten Marke serienweise aus einem sogenannten 'Soft Pack' zu ziehen und selbiges daran auch mit ihren sehr präzise angemalten Lippen zu tun. Die Farbe ihres Lippenstifts hatte sich in Form von konturarmen Flecken auch auf ihre Schneidezähne übertragen, was die Rohrer aber entweder nicht zu bemerken oder nicht zu stören schien. An einem Vorgespräch zur anstehenden Diskussion war sie offensichtlich nicht interessiert, auch sonst hatten wir uns wenig zu sagen, denn ich wollte Sätze wie "Das Fernsehen ist ja nur noch reine Verblödung, außer, wenn Sie irgendwas analysieren!" vermeiden. Gefühlte zehnmal war ich ganz nahe dran, einen mit maximaler Dezenz formulierten und von wohlklingenden Floskeln flankierten Hinweis auf ihre roten Schneidezähne auszusprechen, bevorzugte es dann aber stets, durch das Entfachen einer neuen Zigarette ein stummes Zwiegespräch mitzuführen.
Bevor wir auf das Podium gerufen wurden, ließen es sich eine Reihe korpulenter Anzugträger nicht nehmen, mit einer Aneinanderreihung von dankenden Worthülsen zu versuchen, die praktische Existenz von Unendlichkeit zu beweisen. Die Rohrer saß in der ersten Reihe neben mir und pfiff mit ihrer einprägsamen Stimme auf manch eine Regel des guten Benehmens. Alleine die despektierlichen Kommentare, die sie weder in mein Ohr noch flüsterte, sondern in beachtlicher Dezibelzahl in meine Richtung krakeelte, waren lauter als das Volumen eines durchschnittlichen Zwischenrufs. Wenn sie über körperliche oder sprachliche Unzulänglichkeiten lachte, bekamen es die Betroffenen auf der Bühne eindrucksvoll mit, was gar nicht nötig gewesen wäre, weil alleine ihr Gesichtsausdruck, der auf den Verzehr eines Eimers Zitronensaft schließen ließ, eigentlich alles sagte. Zwischendurch wollte sie von mir wissen, was ich bisher erreicht hatte und wie ich mein weiteres irdisches Gastspiel planen würde. Weder die Antwort auf ersteres noch auf zweiteres schien ihren Ansprüchen zu genügen, was sie mit abgewendetem Blick und verächtlichem Schweigen mehr als zum Ausdruck brachte. Auch wenn es wie ein Widerspruch zu meiner bisherigen Schilderung erscheinen mag: Irgendwie mochten wir uns. Wahrscheinlich speiste sich die gegenseitige Sympathie aus dem Unwohlsein, das Ort und Rahmen in uns auslösten.
Endlich begann die Diskussion, die sich mit der österreichischen Medienlandschaft auseinandersetzen sollte. Das genaue Thema habe ich vergessen, was ich nicht sehr bedaure. Meine anfängliche Mühe, ein halbwegs den Normen der Langeweile und Gesprächskultur entsprechendes Gespräch zwischen den Diskutanten zu provozieren, wurde jäh durch die Rohrer unterbrochen. Das in ihren Augen träge inhaltliche Dahinplätschern, gepaart mit banalen Fragen aus dem Auditorium, ließ sie schon nach zehn Minuten die Drohung aussprechen, "gleich gar nichts mehr zu sagen, wenn wir jetzt schon wieder so anfangen."
Meine kurz akute Furcht, das Geschehen würde mir entgleiten, wich schnell der Erleichterung darüber, dass die forsche Sie zu meiner Linken genug Leben in den Saal brachte, um der Zuhörerschaft die geplanten eineinhalb Stunden (!) etwas kurzweiliger zu gestalten, dabei aber auch viele richtige Dinge sagte.
Als sich irgendwann jemand erdreistete, der Rohrer ein Statement zum Teufelsblatt Kronenzeitung entlocken zu wollen, war sie nicht mehr zu halten. "Ich kann das nicht mehr hören, diese ewige Leier von der bösen Krone. Es gibt nun mal Millionen von Menschen, die sie lesen. Werfen Sie denen vor, dass es die Krone gibt. Nicht der Krone." Frau Rohrer möge mir verzeihen, wenn ich sie nicht im genauen Wortlaut zitiere, aber inhaltlich war das die nicht unscharfe Reaktion, mit der sich nun auch der Kreis zu den ersten beiden Absätzen schließt.
Da das bisher aus meinem Federkiel Geflossene eigentlich nur der Einleitung für einen Aufsatz über die wunderbare Serie 'Stromberg' dienen sollte, der Prolog aber etwas ausführlich geraten ist, setze ich vor den Titel einfach in Klammer eine 1 und werde nächste Woche darlegen, was mich an diesem Fernsehspiel anspricht. Bis dahin wünsche ich Ihnen alles Gute! Uns jetzt husch husch weg vom Bildschirm, raus mit Ihnen, die Sonne scheint! Oder lehnen Sie sich wenigstens ein bisschen raus. Denn:
Wer sich weit aus dem Fenster lehnt, hat die bessere Luft!