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Wien | 26.10.2008 | 18:00 
Lach- und Sachgeschichten.

Janis, Schoenswetter, Reiser

 
 
Reich-Ranicki
  Ein umbenannter Teil 2 des Stromberg-Artikels - Aus gegebenem Anlass
 
 
 
  Nach einer ausschweifenden Einleitung in der Vorwoche sollte nun an dieser Stelle eine mindestens ebenso erschöpfende Lobhudelei auf das komische Fernsehspiel 'Stromberg' erscheinen, aus gegebenem Anlass sei es mir aber erlaubt, den ursprünglichen Kern des Aufsatzes nur kurz zu behandeln und dann wiederum abzuschweifen:

'Stromberg' sei hier also als Beispiel für ein TV-Format angeführt, das zwar im teuflischen, marktschreierischen Hauptabendprogramm der Privatsender eingebettet ist, in diesem Rahmen aber zu glänzen versteht, weil es auf das Schrille der unzähligen Raabs und Profitlichs verzichtet und eine Subtilitätsgrenze nie unterschreitet. Wiewohl das Büro, das der Tyrann Bernd Stromberg leitet, von Stereotypen besetzt ist, wurde mit der Hauptfigur ein mehrschichtiger und mit Zitierwürdigem um sich werfenden Charakter erschaffen, der als Arschloch unterdefiniert ist, da der wunderbare Christoph Maria Herbst einen zutiefst zerrissenen, einsamen und bemitleidenswerten Menschen darstellt.

Schnitt, Schwenk: Marcel Reich-Ranicki. Der kennt Stromberg ganz bestimmt nicht. Vor zwei Wochen sollte der Greis den deutschen Fernsehpreis für sein Lebenswerk entgegennehmen, lehnte ihn jedoch ab, weil er die Veranstaltung wie das Fernsehen an sich unerquicklich findet. Darauf hin bot ihm Moderator Gottschalk an, die Frage nach der Qualität der Television in einer Sondersendung eingehender zu diskutieren.

 
 
 
 
  Diese fand unter dem Titel 'Aus gegebenem Anlass' vorletzten Freitag im ZDF statt.

Marcel Reich-Ranicki hat keinen Hals. Sein Kopf, doppelt so breit wie einer vertretbaren Proportion entsprechend, wächst direkt aus dem wohlgenährten, geriatrisch verwachsenen Korpus heraus. Da saß der alte Mann nun also wie ein mit dem Samt des Stuhles zusammengenähter Sack in ebenjenem und lispelte sich durch ein halbstündiges Gespräch.

Dabei repräsentierte er in potenzierter Form genau das, wofür er ohnehin seit Jahrzehnten steht: Einen elitären, verschnarchten Kulturbegriff, dessen Verständnisradius exakt bei Thomas Mann endet. Nachdem R-R mit großer Inbrunst und pathologischer Sturheit einen erheblichen Beitrag dazu leistete, dass eine Vielzahl an Interessantem, Mutigem und Modernem in der deutschen Literatur unter den Teppich der Engstirnigkeit gefegt wurde, indem das verdatterte Rumpelstilzchen auf einem Kanon beharrte, der ein erfolgsgekröntes Gegenmodell zur Leselust darstellt, hat er sich nun also auch noch das Fernsehen vorgenommen.
 
 
 
 


Als Fernsehen noch Spaß machte: Ron Tyler
 
 
 
  Überraschende Selbsterkenntnis: Es ist bei einem ausreichend erschreckenden Gegenpart auch noch möglich, Thomas 'Altherrenwitz' Gottschalk sympathisch zu finden. Der kam auf die Kernthese meines vor zwei Wochen publizierten Prologs zu sprechen, dass jedes Medium eben auch vom Publikum mitgestaltet wird. Gezeigt wird, was Quote macht. Quote macht man, indem Deix-Figuren aus Bayern zur Primetime hunderfünfzig Bierflaschen Kraft ihrer Schlegel zertrümmern und eben nicht mit Shakespeare-Adaptionen. In diesem alles beherrschenden Spektrum des Mainstream-TVs ist Kritik nur dann sinnvoll, wenn es um Nuancen geht. Wie sehr darf jemand von Musikproduzenten gedemütigt werden? Ab wann verstehen Dokusoap-Opfer nicht mehr, wie ihnen geschieht? Ab welchem Punkt wird das Barth-Comedy-Segment gefährlich?
Das sind zum Beispiel Details, deren Erörterung von Belang ist. 'Das Fernsehen' allgemein zu kritisieren ist flach, dumm und sinnlos, erst recht, wenn der Tadel von einem kommt, der Atze Schröder und Helge Schneider verwechselt ("Alles Clowns"). Für R-R sind ein kotziger Stohmann des menschenverachtenden Kalauers und ein der Groteske verpflichteter Musiker mit herzergreifenden Momenten ein und dieselbe Person. Das sagt im Grunde alles.

 
 
  Außerdem: R-R hat nicht den Hauch einer Idee von zeigenössischer Medienrezeption. Ähnlich demokratisch wie das Fernsehen gestaltet sich das Internet, das längst die Röhre in manchen Belangen ersetzt oder ergänzt. Die werberelevante Zielgruppe lebt informationstechnisch on demand. Nach seiner Tirade hätte man den Eindruck gewinnen können, er spräche über den Spielplan des einzigen Theaters in einer Stadt. Audiovisuelles kennt jedoch mehr Quellen als die zehn Sender, die R-R einprogrammiert hat. 'Verblöden' wird hier also niemand, höchstens gemäß der eigenen Blödheit konsumieren.
(Ich bin übrigens einer der wenigen mir bekannten Menschen, die vehement die These verteidigen, dass die Mattscheibe [Ich habe leider kein Synonyme-Wörterbuch zur Hand, um die Wortwiederholung etwas stilvoller zu umschiffen] in fünfzehn Jahren nicht mehr vom Internet losgelöst funktionieren, sondern zur Gänze in das Weltnetz integriert sein wird. Schon bald wird die Mehrheit einfach nicht mehr zu hinreichend Geduld in der Lage sein, um bis zur Primetime auf den Tatort zu warten. Alle Inhalte sind gleichzeitig verfügbar, womit man mehr Zuseher erreicht als sonst. Exaktere Quotenmessung, geschickt integrierte Reklame.)

Was mich an der von R-R losgetretenen Diskussion stört, ist die oberflächliche Allgemeinheit, mit der sie geführt wird, die mich die ganze Zeit an Projekt X - Fragestellungen gemahnt ("Ist das Weltall eigentlich noch lässig?" oder so). Fußballmannschaften reüssieren wohl kaum, weil sich ihre Mitglieder über Wochen darüber zanken, ob sie denn nun gut oder schlecht spielen. Interessant sind Details. Grundsätzlich ist das Fernsehen ein Massenunterhaltungsmedium. Das war es immer. Der "Früher war es besser" - Evergreen entspringt auch in diesem Fall einer Verklärung oder lückenhaften Erinnerung - Ich glaube eigentlich sogar, dass das Fernsehen früher noch viel schlechter war.

 
 
  Den konstruktiven Schlusspunkt soll ein Vorschlag setzen, der einerseits die anscheinend vorhandene Ambition zur Mängelrüge befriedigen könnte und andererseits einen Deut interessanter als die Rügen von Old Marcel wäre: Ein wöchentliche TV-Kritik im Fernsehen, mit wechselnden Teilnehmern. 'Das televisionäre Quartett', ohne R-R.
Stelle ich mir unter Umständen lecker vor.
 
 
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