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Wien | 11.10.2008 | 11:28 
Please don't put your life in the hands
of a rock 'n' roll band

Farkas, Christianlehner, Ondrusova

 
 
Die Zunge Europas
  Das zweite Buch des literarischen Wunders Heinz Strunk beweist wenig Kreativität, aber viel Chaos.
 
 
 
Der Heinzer
  Ich bin ein so großer Fan von Heinz "Heinzer" Strunk (aka Mathias Halfpape, aber wer sagt das schon?), dass ich "Die Zunge Europas" verschlungen habe. Oder besser gesagt, sie mich. Bevor wir uns hier in den Inhalt vertiefen, sei eingangs festgestellt: Strunk beherrscht den Markt der coolen deutschen Literatur wie sonst kaum jemand. Das, was einmal Benjamin von Stuckrad-Barre gemacht hat, vollbringt jetzt der Strunk. Manische Wort-Auswürfe, unaufhaltbarer Flow, fast schon ein Text der erst laut gelesen funktioniert. Der ehemalige Hörspielkünstler besticht aber auch am Papier durch Klang. Da kann man nicht nein sagen, da kann man's nicht weglegen, auch wenn's vielleicht sonst nicht viel Halt gibt.

Heinz Strunk, Jahrgang 1962, hat Musik studiert und jahrelang in der Tanzband Tiffanys am Saxofon herumgewerkt - ein hanseatisches Schicksal, das in seinem Bestseller "Fleisch ist mein Gemüse" charmant und unglaublich lustig abgebildet worden ist. Strunk, der die Jahre vor seinem unerwarteten literarischen Erfolg mit der Hamburger Humoristentruppe "Studio Braun" und auch im Radio und TV ("Fleischmann TV" auf Viva) verbracht hat, segelte plötzlich auf einer neuen, unerwarteten Erfolgskurve. Vier Jahre nach "Fleisch ist mein Gemüse" hat seine mittlerweile recht große Fannische schon richtig auf ein neues Buch gebrannt. Und obwohl er jeglichen Erfolgsdruck mit einem Händefuchteln abtut, finde ich es fast unmöglich, dass man sich locker-flockig ins zweite textliche Abenteuer stürzt, wenn man weiß, dass rein statistisch gesehen so viele Exemplare des Debüts verkauft worden sind, dass jeder Einwohner Islands einen Strunk im Regal stehen haben könnte.

Alles hat irgendwann in einer Nische angefanen. Es geht darum, langen Atem zu beweisen und etwas durchzusetzen.

Heinz Strunk - 'Die Zunge Europas'
 
 
Copyright: Philipp Rathmer 2007
 
 
Die Zunge
  Das Autobiographische hat gut funktioniert, und weil ihn Fiktion nicht so wirklich interessiert, hat der Autor auch für "Die Zunge Europas" wieder im persönlichen Erfahrungsfundus gestöbert. Die Geschichte des Markus Erdmann ist im Wesentlichen die Geschichte des Autors. Ein verzweifelter Gag-Schreiber lebt in Hamburg vor sich hin, hat manchmal gute Ideen, was seine Lebensziele betrifft, setzt aber nichts durch. Er vegetiert in einer dead end-Beziehung dahin, die sich hauptsächlich über kulinarische Orgien definiert, die im Tiefschlaf enden - Hauptsache, es wird nicht intim. Es ist trist, es ist trostlos, und der Besuch im Golden Pudel Klub verleitet Markus lediglich zu einer sozialkritischen Hasstirade.

Ich finde nicht statt. Eine Schimäre, ein Schattenriss, ein Dunkelmensch, ein mit dünnem Strick Skizzierter. Die Mädchen hätten auch fünf oder zehn oder fünfzehn oder zwanzig Jahre älter sein können, es spielte keine Rolle. Genauso wenig wie es eine Rolle spielt, ob ich nun sieben Kilo mehr oder neun Kilo weniger wiege, eine Fleischmütze habe oder keine, behaart bin oder blank, käseweiß oder tiefbraun, Jeans oder Smoking, Abba oder Zappa, Dings oder Dings. Es ist vollkommen egal. Würstchen im Schlafrock, Pflaume im Speckmantel, die Lage is hoffnunglos.

 
 
 
Das Fernsehen
  Da wären wir auch schon bei der angesprochenen Manie: Neben der dahinplätschernden Handlung setzt sich Markus Erdmann alle paar Seiten auf den metaphorischen Rücksitz und lässt den Heinzer ans Steuer. Der ergeht sich dann in seinem Hass auf das deutsche "day-time" TV. Oder die Comedians vom "Sat. 1 Fun Freitag". Oder andere ebenso bewegende Themen, deren derbe Kommentare doch oft im Strunk'schen Selbstzweifel enden. Das ist, weil's der Heinzer ist, beim ersten Mal unglaublich lustig. Da zieht sich seitenlang ein fast schon Beat-artiger repetitiver stream of consciouness. Nach der zehnten Abrechnung mit "Richter Hold" und dem Vormittagsprogramm auf den Privaten ist es mir aber auch schon wieder egal. Preaching to the converted, irgendwie. Am Ende wirkt's dann nur wie Füller, wie's Seiten-Aufstocken.

Wie angenehm müsste es sein, ein Leben im Halbschlaf zu verbringen. Einnicken, dämmern, kurz wieder aufwachen, erneut einnicken, und nie richtig wach werden.

 
 
 
Die Warteschleife
  Es war für mich klar, dass "Die Zunge Europas" nur so nach einem Vergleich mit Rocko Schamonis "Sternstunden der Bedeutungslosigkeit" geschrien hat. Die Autoren sind eng befreundet und tauschen sich klarerweise über ihre Arbeit aus. Auch die Themen ihrer aktuellen Werke sind sehr ähnlich. Beide Protagonisten in der Warteschleife des Lebens, beide unfähig ihre Situation zu ändern, beide lieber dahin lebend als dem Plädoyer des Risikos nachzugeben. Doch Schamoni hat's geschafft, mit viel Melancholie und Herz seine autobiographisch angehauchte Geschichte wirklich zu erzählen. Strunk hingegen versammelt so wenig Handlung dass ein klaffendes Loch bleibt - trotz vielen Lachern und vielen Zustimmungen meinerseits zu Heinz' Medien-Kommentaren, hat das alles wenig mit der/einer Story zu tun. Das Skelett der Handlung ist zu brüchig, um einen in dieser Hinsicht wirklich an Storyline oder Charaktere zu fesseln. Eher fesselt es an Strunk.

Und da wären wir wieder bei Autobiographie vs. einem Roman. Eine Autobiographie oder einen Essayband hätte ich von Heinz gerne wieder bekommen - dafür ist in der "Zunge" aber zu viel versuchte literarische Handlung. Für ein Buch, dass sich aber wie ein autobiographischer Roman (z.B. wie sein Vogänger liest), sind zu viele Abschweifungen und zu wenig Geschichte enthalten. Beides nahtlos zu kombinieren, gelingt ihm mit der "Zunge" nicht.

Produktion von Sinn durchs Erzählen, ohne dass Sinn vorrausgesetzt wird! Denn: Durch's Erzählen wird erst Sinn produziert!
 
 
 
Copyright: Philipp Rathmer 2007
 
 
Der Dandy
  "Die Zunge" wird sich verkaufen wie die warmen Semmeln, was schon alleine am Titel liegt. Mich hätte die Geschichte der besten Geschmacksnerven Europas ja wirklich interessiert, stattdessen bleibt sie eine Hintergrundfigur im diffusen Plotkonstrukt dieses Buches.

Onkel Friedrich ist ein Spitzentyp, und hat außerdem den besten Spitznamen der Welt: Die Zunge Europas. Sein gesamtes Berufsleben hat er im Kaffeegeschäft verbracht: Kaffeekaufmann, Kaffeehändler, Kaffeeverkoster, Kaffeeexperte...

Und trotz allem möchte ich Heinz Strunk anhand dieses Buches als Autor nicht abschreiben. Ich glaube einfach, dass das Buch mehr Zeit, noch mehr (troz den bereits gebrauchten sechzehn Fassungen) Arbeit benötigt hätte. Aber während dem redigieren war Strunk schon mit etwas ganzn anderem beschäftigt - einem zweiten Buch, "Fleckenteuefel", eine Art Antwort auf Charlotte Roches "Feuchtgebiete" - nur mit dem Strunk'schen Pendant zum Ekel. Außerdem turnt er mit den Studio Brauns auf der Bühne des Hamburger Schauspielhauses bei der Inszenierung von Rocko Schamonis "Dorfpunks" herum. Außerdem, zwei Filme in der Pipeline, einmal mit Studio Braun, einmal mit Stermann & Grissemann. Und dann soll es noch so etwas wie Privatleben geben!

Als Resümee also: vielleicht hat sich Heinz Strunk einfach übernommen, und deswegen ist "Die Zunge Europas" so eine Enttäuschung geworden. Trotzdem bleibe ich gespannt, was er uns demnächst anderes bringt, denn trotz diesem let-down: Da spielt ein "je ne sais quoi" mit, das mich immer wieder einfängt.

Es gibt Sachen, die klingen lustig, und kein Mensch weiß, warum.
 
 
 
Die Fakten
  "Die Zunge Europas" ist im Rowohlt Verlag erschienen.

Mehr zu Heinz Strunk und "Die Zunge Europas" gibt es heute ab 13 Uhr in FM4 Connected zu hören. Am Donnerstag, den 16.10. ist Strunk zu Gast bei Willkommen Österreich.
 
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