Die EU ist in Österreich derzeit wenig beliebt. Patriotisch Gesinnten symbolisiert sie eine unerwünschte Internationalisierung und nährt Ängste einer Außenbedrohung, während sozialstaatlich orientierte Kritik in der EU die Quelle neoliberaler Wirtschaftspolitik ortet, die Europa regiert.
Wer ist eigentlich die EU?
Doch wer "die EU" eigentlich ist, bzw. wer darin das Sagen hat, ist bei näherem Hinsehen schwer zu sagen. Die EU, dieses Mittelding aus Staaten-Club und überstaatlichem Gebilde mit ihrer Vielzahl von Institutionen, die verschiedene Zuständigkeiten und Einfluss haben, hat keinen "Chef" und kein klares Machtzentrum, von dem aus alles ausgeht. Es gibt aber Akteure und Organe, die mehr Einfluss haben als andere. Zu den wichtigsten dieser Organe gehört der Rat für Wirtschaft und Finanzen (auf englisch abgekürzt "Ecofin" für "Economic and Financial Affairs Council"). Diese Treffen der Finanzminister der EU-Mitgliedstaaten finden jeden Monat statt. Sie sind das wichtigste Beschlussorgan für die Wirtschaftspolitik der EU. Dieser Rat hat für Vorbereitungen für den Euro gesorgt, er überwacht die Budgetpolitik der Mitgliedstaaten und gibt Leitlinien für die Wirtschaftspolitik aus.
Es ist dieser Rat für Wirtschaft und Finanzen, in dem der österreichische Finanzminister Grasser mit seinem Slogan vom "Nulldefizit" Anerkennung suchte und fand. Die Finanzminister der EU stärken sich dort gegenseitig den Rücken für die Budgetverhandlungen zu hause, indem sie sich gegenseitig zu strikter Einhaltung des viel zitierten "Stabilitäts- und Wachstumspakts" ermahnen, der Budgetdefizite weitgehend verhindern soll.
Geheimniskrämerei?
Eine häufige Kritik an der EU ist Intransparenz und Undurchschaubarkeit. Wie steht es diesbezüglich mit dem Ecofin Rat? Protokolle der Sitzungen werden im Nachhinein veröffentlicht und sind somit - großes Interesse und Akribie vorausgesetzt - für alle verfügbar. Aber vorher auf die Diskussionen Einfluss zu nehmen, ist nur wenigen möglich. Das zeigt sich zum Beispiel am Ende der Woche stattfindenden "Informellen Ecofin", auf dem sich die Finanzminister zu einer ihrer zweimal jährlich stattfindenden außertourlichen Treffen versammeln. Diesmal findet dieses Treffen in Wien statt, und die Finanzminister haben sich die Konzernchefs von Nestlé, Volkswagen und Telefónica eingeladen, um mit ihnen zu plaudern. Kritische NGOs dagegen haben im Finanzministerium im Vorfeld nicht einmal einen Termin bekommen, um eine Deklaration zu übergeben. Entsprechend schaut die Wirtschaftspolitik der EU aus.
Remember Nulldefizit?
"Vom hiesigen Finanzminister werden Initiativen in Richtung einer steuerlichen Harmonisierung systematisch blockiert. Mit Zähnen und Klauen verteidigt Österreich "sein" Bankgeheimnis und verweigert eine einheitliche Zinsbesteuerung. Mit der letzten Steuerreform, die eine weitere Senkung der Körperschaftssteuer auf 25% und mit der Gruppenbesteuerung großzügige steuerliche Verlustverrechungen für transnationale Konzerne brachte, profilierte sich Österreich einmal mehr als eine der treibenden Kräfte im ruinösen Wettkampf aller gegen alle", kritisiert Petra Ziegler von Attac in einem Kommentar zum Thema "Unpatriotische EU-Kritik" die offizielle österreichische Haltung zu einem zentralen Punkt der EU-Wirtschaftspolitik.
Organisierte Kritik
KritikerInnen von NGOs, Gewerkschaften und Bildungsinstitutionen haben deshalb einen "Alternativen Ecofin" auf die Beine gestellt, der von 4.-6. April im Vorfeld des offiziellen Ecofin kritische Positionen und Gegenentwürfe zur offiziellen EU-Wirtschaftspolitik diskutieren will. "Der Alternative Ecofin thematisiert das Demokratiedefizit und die daraus resultierende neoliberale Wirtschaftspolitik der EU", so die Veranstalter. Dass die Veranstaltung im Wiener Rathaus und mit Unterstützern wie AK, ÖGB, Renner Institut und Grüner Bildungswerkstatt stattfindet, ist für einen "Gegengipfel" eine ungewöhnlich "offiziöse" Location - bei der wohl der Hintergedanke Pate stand, mögliche künftige Regierungsverantwortliche schon im Vorfeld frühzeitig in die Pflicht zu nehmen...