Rund um die Jahrtausendwende waren die Jahrestagungen von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank jahrelang Schauplatz von Großdemonstrationen und Protesten, wurden zum Fokus der "altermondialistischen" Globalisierungskritik. Dieses Jahr ist Singapur der Austragungsort des Treffens. Im autoritären Stadtstaat ist an Protestversammlungen nicht zu denken, selbst einige der TeilnehmerInnen der routinemäßigen Konsultationen mit NGOs wurden von den Behörden schon an der Grenze abgewiesen. Ein PR-Disaster für die internationalen Institutionen, die sich in der Öffentlichkeitsarbeit regelmäßig "Transparenz und Dialog" auf die Fahnen schreiben.
Aber durch die Abschottung kann nicht mal eine heile Innenwelt aufrechterhalten werden - die Akzeptanzkrise insbesondere des IWF - hat sich mittlerweile von den Straßen längst ins Innere der Institutionen verlagert. Was ist da passiert? Hauptaufgabe des 1944 gegründeten IWF ist es, Zahlungsbilanzhilfe für Länder in Schwierigkeiten zu leisten. Vereinfacht gesagt: Wenn ein Staat auf Dauer mehr importiert als exportiert und daraufhin in Zahlungsschwierigkeiten gerät, kann der IWF ihm einen Kredit gewähren. Als Bedingung erteilt er den Schuldnerländern wirtschaftspolitische Auflagen, die dazu führen sollen, dass das Land wirtschaftlich "gesundet", den Kredit zurückzahlen kann und nicht in wenigen Jahren wieder in Probleme gerät. Diese Auflagen sind heftig umstritten: Damit würden von Lobbys verführte und korrupte heimische Wirtschaftspolitiker zu vernünftigen Reformen gezwungen, sagt der IWF. Nein, damit wird neoliberale Orthodoxie exportiert, die auf lokale Gegebenheiten und demokratische Entscheidungen vor Ort keine Rücksicht nimmt, und so mitunter eine Wirtschaftspolitik herbeigeführt, die Probleme und Krisen noch verschlimmert, zum Teil im Profitinteresse von Gläubigerstaaten - so kritische Stimmen.
Quiz: Wofür steht die Abkürzung "IWF"?
Im Zuge der Asien-Krise 1997/98, in der der IWF als Krisenfeuerwehr im Angesicht von Währungskrisen zuletzt groß im Einsatz war, ist diese Debatte aus ihren Nischen im akademischen und entwicklungspolitischen Bereich an die breite Öffentlichkeit gekommen. Seither hat sich das Blatt radikal gewendet: Standen bis zur Jahrtausendwende zahlreiche Staaten in einer Schuldnerposition und damit unter Kuratel des IWF, ist derzeit die Türkei der einzige größere Staat, der noch einen ausständigen IWF-Kredit laufen hat. Ehemalige Krisenländer aus Asien und Lateinamerika haben sich entschlossen, dem IWF den Rücken zuzukehren. Wirtschaftsboom und gute Einnahmen dank hoher Rohstoffpreise haben es Staaten wie Brasilien, Argentinien und Indonesien ermöglicht, ihre Schulden vorzeitig zurückzuzahlen und sich so dem Einfluss der internationalen Organisation zu entziehen: Wer nichts schuldet, braucht auch keine Ratschläge entgegennehmen. Und schnell wachsende asiatische Länder wie China sichern sich gegen Währungskrisen ab, indem sie gigantische Dollar-Reserven aufbauen, um im Notfall selbst ihre Währung gegen Spekulation verteidigen zu können. Heimische Brandschutzvorsorge soll die internationale Krisenfeuerwehr ersetzen.
Gleichzeitig wie eine Bank ohne KreditnehmerInnen und wie ein Lehrer ohne SchülerInnen steht der IWF nun da. Niemand will sein Geld und die damit verbundenen Lektionen. Das bringt ihn finanziell und politisch unter Druck. Mangels offener Kredite gibt es zu wenig Einnahmen aus Kreditzinsen und -rückzahlungen, deshalb steckt der IWF in einer Finanzkrise. Und niemand will seinen wirtschaftspolitischen Rat, darum muss sich der Fonds verzweifelt nach neuen Aufgaben umschauen, um seine Existenz zu rechtfertigen.
Um das Image eines Clubs der alteingesessenen Industrienationen (im wesentlichen USA und Westeuropa) loszuwerden, der in deren Interesse dem Rest der Welt Diktate erteilt, wurde im IWF eine Debatte initiiert, wie man das Gewicht der aufstrebenden Volkswirtschaften aus Asien und Lateinamerika stärken könnte. Bislang halten die Industrieländer über 85% der Stimmrechte im IWF. Als ersten Schritt haben China, Südkorea, Mexiko und Türkei laut jüngstem Beschluss auf der Jahrestagung ein größeres Stimmgewicht erhalten. In den nächsten Monaten und Jahren soll in weiterer Folge eine grundsätzliche Reform der Stimmrechtsverteilungen verhandelt werden. Das werden zähe Verhandlungen. Zwar wird kaum bestritten, dass internationale Institutionen in einer immer stärker zusammenhängenden und somit auch für Krisenepidemien anfälligeren Weltwirtschaft notwendig sind. Aber die Lust, sich internationalen Beschlüssen unterzuordnen, ist in allen Staaten gering - und umso geringer, je kleiner der eigene Einfluss auf diese Beschlüsse ist.