Na, dieses Jahr schon das Gejammer von Verwandten ertragen, dass das Christfest "immer mehr zum Geschäft wird"? Das Thema "Ethik und Wirtschaft" hat zu Weihnachten Hochkonjunktur. Dem wollen wir uns natürlich nicht verschließen. Erstes Untersuchungsobjekt ist ein ganz spezielles Phänomen: Der/die SpendenkeilerIn ist im Dezember besonders viel unterwegs, steckt Zahlscheine ins Postfach, bildet Beinahe-Straßensperren an öffentlichen Plätzen in Großstädten, und entfacht ein Lichtermeer im Fernsehen, um dich zur Spende an die Vertreterorganisation der guten Sache X zu bewegen. In seinem fortschreitend von anderen Marketingmaßnahmen ununterscheidbaren Auftreten auf den ersten Blick verwunderlich: Verträgt sich die professionalisierte Aufdringlichkeit dieses Einwerbeverhaltens, die viel Abneigung auf sich zieht, nicht reichlich schlecht mit dem "good guy"-Image der nutznießenden NGOs, und werden deshalb solche Methoden über kurz oder lang mangels Erfolg wieder verschwinden? Nein - wir können sogar mit einer Zunahme und Intensivierung dieses Soft-Raubrittertums rechnen, und zwar in direktem Verhältnis zu Sparanstrengungen im Staat. Platt gesagt: Je sparsamer der Staat, desto zudringlicher die Spendenkeilerei. Wie das?
In Österreich gibt es ein paar hundert professionell um Spenden werbende Organisationen, die zum Teil mit Inseraten, Aussendungen und Zahlscheinverteilen an Gelder zu kommen versuchen, zum Teil spezialisierte kommerzielle Firmen gegen Provision auf der Straße für sich keilen lassen.
Spendenspitzenreiter in Österreich sind Caritas, Rotes Kreuz, Missio Austria, SOS Kinderdorf und Dreikönigsaktion, erst später, nach diversen kirchlichen Organisationen folgen Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace, WWF und Global 2000, sowie Vier Pfoten. Am liebsten wird die Börse laut Umfragen für Kinder, Behinderte und internationale Anliegen (Entwicklungs- und Katastrophenhilfe) gezückt. Erst in den letzten Jahren aufgekommene Spendenziele wie Umwelt, Tierschutz und Menschenrechte sind im Wachsen. Drogenabhängige, Obdachlose oder AsylwerberInnen gelten dagegen als "schwer verkaufbar".
80 von 100 ÖsterreicherInnen bezeichnen sich als spendenfreudig. Das Ergebnis: Es wird angenommen, dass in Österreich pro Jahr zwischen 250 und 400 Mio. Euro gespendet werden, genau weiß das niemand. Vom viel zitierten "Spendenweltmeister Österreich" kann aber keine Rede sein - andere Länder haben ein viel höheres Spendenaufkommen pro Kopf. Spendenweltmeister sind die USA - wo eine Tradition herrscht, Menschen große Reichtümer erwerben zu lassen, von denen sie dann freiwillig nach eigenem Gutdünken milde Gaben - als eine Art Ablasszahlung - verteilen, statt sie ordentlich zu besteuern und die Geldverteilung zu einer öffentlichen Angelegenheit zu machen. Da kann dann schon ordentlich was zusammen kommen im Spendentopf. Mit großen Stiftungungen wie jener von Bill Gates, die mit der Spende des Millionärs Warren Buffet diesen Sommer 60 Mrd. US-Dollar schwer wurde, üben Unternehmer einen Einfluss auf Politik und Gesellschaft aus, deren selbstlose Intentionen von vielen angezweifelt werden.
In Österreich machen Spenden im Schnitt derzeit nur rund 10% der Einnahmen einer durchschnittlichen Non Profit Organisation aus. Der Non Profit-Sozialsektor in Österreich und anderswo finanziert sich im Wesentlichen nicht durch Spenden, sondern durch den Staat. Dieser erhält viele dieser Organisationen durch direkte Subventionen oder durch Bezahlung von Leistungen, die sie im staatlichen Auftrag erbringen (z.B. Betreiben von Altenheimen).
Der Staat greift in den letzten Jahren sogar immer mehr auf Non Profit Organisationen zurück, weil die Ausweitung des öffentlichen Sektors kritisch gesehen wird. Von Sozialeinrichtungen erhofft man sich auch, dass sie billiger sind. Der Staat vergibt immer seltener Grundsubventionen, sondern zahlt nach Leistung. Dabei ist er im Zuge der Sparpolitik der letzten Jahre recht knausrig (vgl. "es gibt keinen Pflegenotstand"), und die Organisationen müssen sich immer mehr um andere Einnahmenquellen bemühen. Deshalb verstärken sie alle die Anstrengungen, um an Spendengelder zu kommen. Der steigende wirtschaftliche Druck macht aus dem Non Profit Sektor immer stärker ganz normale kaufmännisch agierende Unternehmen, die sich von ihrer einstigen Basis (oft soziale Bewegungen wie die Sozial- oder Umweltschutzbewegung) entfernen (müssen), und auf Grund der Abhängigkeit von jährlich neu ausgeschriebenen und somit unsicheren staatlichen Geldern nicht mehr wagen, ihrer Rolle als Kritikerin gesellschaftlicher Zustände oder als Sprachrohr für die von ihnen betreuten Personengruppen im Sozialbereich aufzutreten. Sie werden insbesondere im Sozialsektor in vielen Fällen zu reinen Dienstleistern. Um die Lücken im Budget zu füllen, und sich durch eigene Einnahmen mehr Autonomie vom Staat zu verschaffen, bemühen sich die Organisationen vermehrt um Spendengelder. Die Spendenfreudigkeit befindet sich aber auch nicht gerade im rasanten Wachstum - man spricht von einem "stagnierenden Spendenmarkt". Die Folge: Der Konkurrenzkampf um die milden Gaben unter den spendenwerbenden Organisationen wächst, und damit wird auch der "Straßenkampf" um die Börse der PassantInnen heftiger.