Unsexy und grauslich: Lange hatten Soli-Kaffee aus Nicaragua und Konsorten ein Imageproblem, das sie von den Küchen der Mehrheitsbevölkerung fernhielt. Diese Zeiten scheinen vorbei - im stagnierenden Kaffeemarkt ist Fair Trade eine der wenigen Wachstumsmarken. Der österreichische Absatz von Fair Trade - Kaffee wächst seit 5 Jahren um durchschnittlich 14%. 100.000 Packungen waren es im ersten Halbjahr 2006. Dass seit September auch Hofer-Kundschaft mit dem Angebot beglückt wird, ist ein Indiz, dass es das Fair Trade-Konzept in den Mainstream geschafft hat. Der Trend ist international: Von den Vorreitern Großbritannien und Schweiz angeführt, sind Fair Trade-Produkte in allen Industriestaaten auf dem Vormarsch von den Weltläden in die Supermärkte.
Anfang der 60er aufgekommen, kam die von NGOs im Norden getragene Bewegung erst langsam in Schwung. Seit Ende der 90er explodiert der Markt für faire Textilien, Schokolade, Kaffee, Tee etc. so richtig. "Angewandte Globalisierungskritik" wirkt als attraktives Versprechen.
Fairness auf dem Vormarsch
Die Hauptprinzipien von Fair Trade sind "gerechte" Entlohnung der ProduzentInnen und Sensibilisierung der KonsumentInnen: Im Norden ansässige Fair Trade-Organisationen schließen Verträge mit ProduzentInnen im Süden ab. Diese verpflichten sich zur Einhaltung gewisser sozialer Mindeststandards bei der Produktion und erhalten dafür einen stabilen Preis für ihre Produkte, der über dem herrschenden Marktpreis liegt, sowie Geld für Community-Investitionen. Gegen eine Gebühr und sporadische Kontrollen gibt es den Stempel einer Fair Trade-Zertifizierungsstelle und den Vertrag mit einer Vermarktungsorganisation im Norden. Diese bringt das Label an die EndverbraucherInnen.
Der Slogan "Fair Trade, Not Aid" gewann mit der zunehmenden Liberalisierung des Handels in den 80er Jahren an Plausibilität. Bestehende Institutionen zur internationalen Preisstabilisierung von Rohstoffen des Südens brachen unter dem Druck von vom Norden forcierter Liberalisierung, Korruption und auseinanderstrebenden Eigeninteressen der beteiligten Exportstaaten zusammen, was in Verfall und Volatilität der Preise für Kaffee, Tee, Baumwolle und andere Exportprodukte aus dem Süden resultierte. Angesichts eines liberalisierten Welthandels und der liberalen Diskreditierung von Entwicklungshilfe als zweifelhaft abhängig machenden Paternalismus, schien Fair Trade den neuen Realitäten Rechnung zu tragen, und den ProduzentInnen zu erlauben, sich selbständig auf einem Markt zu "empowern" - mit ein wenig Hilfe gutmeinender KonsumentInnen, die einen kleinen Aufpreis auf den Kaffee hinnehmen.
Das derzeitige phänomenale Wachstum von Fair Trade erweist sich jedoch als zweischneidig: Das Heraustreten von Fair Trade aus der Nische der Solidaritäts-Szene zieht eine Menge Misstrauen und Kritik nach sich. Vor allem in Frankreich wurde in den letzten Monaten mit der Publikation zweier Bücher, Jean-Pierre Boris mittlerweile auf deutsch übersetztem "Un)fair trade" und Christian Jacquiaus "Die Kulissen des gerechten Handels", eine breite Debatte über die Probleme von Fair Trade entfacht.
Ethik im Supermarkt?
Das Einreihen in die Regale der Supermärkte verschafft Fair Trade Produkten zwar mehr Bekanntheit, wirft aber schwere Prinzipienfragen auf: Der Großhandel und die GroßproduzentInnen sind die Personifikation des unfairen Handels, sagt Christian Jacquiau. Diese Firmen sind zentrale Akteurinnen der Preisdrückerei bei Lebensmitteln, sind bekannt für ihre Gewerkschaftsfeindlichkeit und miese Arbeitsbedingungen. Das Angebot von Fair Trade-Produkten erlaube diesen Ketten, sich mit einem "sauberen" Image zu schmücken, und aus dem schlechten Gewissen der KonsumentInnen auch noch Profit zu schlagen, während ihre geradezu räuberischen Verhaltensweisen gegenüber LieferantInnen und Angestellten undiskutiert blieben. Und während in einem Weltladen zumindest noch die Chance auf Kontakt mit Grundsatzkritik am Welthandelssystem bestünde, fällt in einem Supermarkt jeder pädagogische Effekt in Zusammenhang mit dem Produktkauf weg.
Wie alle Marken hat auch Fair Trade ein Problem mit Etikettenschwindel. Der Wachstumsmarkt zieht Trittbrettfahrer an, die unter dem "fairen" Label segeln, ohne sich an seine Prinzipien zu halten. Die 1997 gegründete Fairtrade Labelling Organisation (FLO) kämpft gegen die Fake-Labels an - ohne gesetzliche Regelungen hat sie aber wenig Chance. Selbst für die strikte Kontrolle der eigenen Partnerbetriebe fehlen ausreichend Ressourcen.
"Es ist bestimmt nicht zu leugnen, dass das starke Wachstum von Fair Trade in den letzten Jahren sowohl eine ideologische als auch wirtschaftliche Herausforderung für alle Beteiligten mit sich bringt, aber genauso wenig ist zu leugnen, dass über fünf Million Menschen in den Entwicklungsländern vom Fairen Handel profitieren", so Georg Gruber, Geschäftsführer von Fairtrade Österreich.
Was heißt aber "profitieren"? ProduzentInnen bekommen etwa beim Fair Trade Label Max Havelaar im Schnitt 50 Euro pro Jahr, das sind 4 Euro pro Monat, abzüglich Transport im Herkunftsland, hat Christian Jacquiau ausgerechnet. Wenn das noch auf alle Mitarbeitenden dieser Betriebe aufgeteilt wird, bleibt fast nichts. Zudem erreicht Fair Trade nur eine kleine Minderheit von ProduzentInnen - und zwar jene, die schon gut organisiert sind und Kontakte haben, die sie überhaupt erst mit den betreffenden Organisationen in Berührung bringen. Wissen und bürokratische Fähigkeiten zur Bewältigung der Auflagen, um das Zertifikat zu erhalten, sind ebenso Voraussetzung. Gerade die Ärmsten, isoliert und ohne solche Ressourcen, bleiben somit ausgeschlossen, vermutet Jean-Pierre Boris.
Wachstum mit Ablaufdatum
Fair Trade erhält viel Aufmerksamkeit. Der Anteil von "fairen" Produkten auf den Märkten für Kaffee, Tee und Bananen liegt aber in Österreich genauso wie in den meisten anderen Ländern nur bei rund 2% - der weitaus überwiegende Teil des Handels ist nach wie vor "unfair". Die Frage ist auch, ob der Fair Trade-Markt das Wachstum über einen bestimmten Punkt hinaus verträgt, ohne zusammenzubrechen. Wie auch bei Bio-Produkten wird es bei steigender Nachfrage schwieriger, ein allen Kriterien entsprechendes Angebot zu finden bzw. die Einhaltung der Kriterien zu kontrollieren. Und wenn dann ein Punkt kommt, wo die Nachfrage nicht mehr wächst, werden neue, vom Wachstum angelockte ProduzentInnen weggeschickt werden müssen und damit eine Zweiklassen-Gesellschaft von ProduzentInnen befestigt, prophezeit die Financial Times in einem jüngsten Survey.
Die Kritik, dass die höheren Preise für Fair Trade-ProduzentInnen als Anreiz wirken, die bestehende Überproduktion von Produkten wie Kaffee - und damit deren allgemeinen Preisverfall auf den Weltmärkten - weiter anzuheizen, hat sich zwar bisher nicht bestätigt. Entwicklungskritische Stimmen geben aber zu bedenken, dass mit Fair Trade die Exportorientierung in Ländern des Südens, und damit die Abhängigkeit von Konsumlaunen im Norden unterstützt wird, während die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln im eigenen Land leidet.
Fair Trade sei "schön und gut", aber ein Tropfen auf den heißen Stein, der bestenfalls die Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit lenken könne, sich politisch für eine Änderung der Spielregeln im Welthandel einzusetzen, meint Jean-Pierre Boris: Früher gab es dafür internationale Organisationen, die - ähnlich wie die OPEC im Ölgeschäft - die Produktion und damit den Preis kontrolliert haben und so für ein Mindestniveau und eine gewisse Stabilität der Einkommen der ProduzentInnen gesorgt haben. Seit der Liberalisierung des Handels entwickeln sich die Preise der meisten Nahrungsmittel-Rohstoffe - im Unterschied zu den Preisen für Importe aus dem Norden - mit wenigen Ausnahmen stetig nach unten. Wenn die internationalen Preisarrangements schon nicht wiederbelebt werden können, muss es zumindest einen Mechanismus geben, der die Gewinne der großen Einkäufer und Weiterverarbeiter im Norden besteuert und umverteilt.
Fair Trade ist zwar auch eine Art Umverteilung, freiwillig, auf kleinem Niveau und unter einem beschränkten Kreis von Beteiligten. "Aber wenn schon spenden, dann doch lieber direkt Geld an Projekte überweisen, die man unterstützenswert findet, und im Supermarkt das billigste - wenn nicht gar umsonst - kaufen, statt einen Aufpreis auf Kaffee in die Hände von kommerziellen Firmen zu legen, die das dann in unbekannter Höhe an Bauern in Afrika weitergeben", meint etwa Aktivist R. zum Thema. Fairness ist halt ein vieldeutiges Konzept.