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Wien | 30.12.2007 | 20:51 
Werkzeuge zur geistigen Selbstverteidigung in Wirtschaftsfragen. Der Pinguin ist zu Hause in Malmoe.

Sonja, Rotifer, HansWu

 
 
Über Verteilung reden
  Neben den Bankenkrisen war im Jahr 2007 im Bereich der Wirtschaftspolitik eines der auffälligsten Ereignisse die Rückkehr von Verteilungsfragen ins Zentrum der Debatten.

Das lag daran, dass angesichts explodierender Managergagen und steigender Unternehmensgewinne die "Gürtel enger schnallen"-Parole an Wirkung zu verlieren begann. In Deutschland und Österreich sinkt der Anteil der Löhne am Volkseinkommen seit Jahren, während der Anteil der Gewinne steigt. Die Wahlkämpfe 2006 spülten das Thema auf die Tagesordnung, und dort blieb es dann im Jahr 2007 auf den Tischen der großen Koalitionen in Deutschland und Österreich.

Zwei Tendenzen zeichneten sich als Effekte dieser Debatte im Jahr 2007 ab: Einführung von Absicherungsmaßnahmen im prekarisierten unteren Einkommensbereich, und Versuche, die oberen Einkommensbereiche durch rhetorische Bündnisstrategien vor dem Zugriff durch Umverteilungsmaßnahmen abzusichern.
 
 
Unten: Absicherung gegen Bodenlosigkeit
  Was das untere Ende der Einkommensskala betrifft, scheint in Deutschland das allgemeine Zurückfallen der Löhne, das im Zuge von staatlich verordneten 1-Euro-Jobs im Rahmen der Hartz IV-Reformen um sich gegriffen hat, ein Ausmaß erreicht zu haben, das als "zu viel des Guten" erachtet wird. 2007 wurde deshalb über die Einführung von Mindestlöhnen bei Bau, Post und anderen Bereichen diskutiert.

In Österreich war die Einführung von Mindestniveaus bei den Sozialleistungen ein Thema. Die "Mindestsicherung" soll dafür sorgen, dass es ein einheitliches Minimalniveau für Sozialhilfeleistungen in ganz Österreich gibt, und nicht wie derzeit üblich in jedem Bundesland unterschiedliche Leistungen. Die Mindestsicherung ist noch nicht beschlossen, soll aber zu einem hohen Preis für die Betroffenen kommen, nämlich Durchleuchtung und Zwang zum vorherigen weitgehenden Aufbrauch des Vermögens und sowieso erhöhte Arbeitsbereitschaft.

Außerdem werden freie DienstnehmerInnen ab nächstem Jahr erstmals auch arbeitslosenversichert sein. Im gleichen Gesetz wurden im Gegenzug für Arbeitslose Verschärfungen beschlossen - mehr Mobilitätsbereitschaft, weniger Berücksichtigung von Angehörigenbetreuung bei der Vermittlung, schärfere Sanktionen bei "Pfusch" etc.
 
 
 
Oben: Absicherung gegen Zugriff
  Während also sehr darauf Bedacht genommen wurde, dass erhöhte soziale Sicherheit ja nicht dazu führt, dass am unteren Ende der Lohnskala sich irgendwer in Sicherheit glaubt und es vielleicht an Arbeitsfleiß vermissen lässt, wurde gleichzeitig dafür Sorge getragen, dass die Verteilungsdebatte nicht etwa dazu führt, dass es zu tatsächlicher Umverteilung von oben nach unten kommt.

Für die gern zitierte Idee der "Leistungsgesellschaft" ist die Erbschaftssteuer ein wichtiges Instrument, um Leistungsgerechtigkeit herzustellen. Denn wer erbt, hat sein Vermögen nicht durch Leistung erworben, und das ist mit dem Selbstverständnis einer "Leistungsgesellschaft" unvereinbar.

Richtig fett zu erben ist ein Minderheitenproblem - wenngleich es dazu keine gesicherten Daten gibt (dem Bankgeheimnis ist das zu verdanken), sind Vermögen mit ziemlicher Sicherheit noch ungleicher verteilt als Einkommen.

So lagen in Österreich zuletzt zwei Drittel aller Erbschaften unter 7300 Euro, nur 1,3 Prozent über einer Million Euro. Von diesen 1,3 Prozent stammt allerdings knapp die Hälfte des Steueraufkommens von etwa 140 Millionen Euro. Sparbücher sind sowieso erbschaftssteuerbefreit.

 
 
  Dennoch ist die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung für die Abschaffung der Erbschaftssteuer, die der Verfassungsgerichtshof im März aufhob (und zwar nicht weil er sie an sich verurteilte, sondern weil die bestehende Regelung Grund- und Geldvermögen ungleich behandelt hatte). Sie könnte zwar nachgebessert werden, aber die Illusion der Mehrheit, sie sei persönlich betroffen, scheint das zu verhindern. Die wirklich großen Erbschaften in spe, die ja sowieso in minimalbesteuerten Stiftungen geparkt sind, machen jetzt noch Druck, die verbliebenen Steuern auf Stiftungen auch noch zu kappen.

Die Behauptung, die Erbschaftssteuer zerreiße Familienglück und Unternehmensfortbestand, weil die Begleichung der Erbschaftssteuer zum Verkauf von Häusern und Firmen im Familienbesitz zwinge (wofür ja, wenn überhaupt, dann eher Erbschaftsstreitigkeiten zwischen Hinterbliebenen sorgen), ließ die Abschaffung auch noch als gerechte Sache erscheinen. Die Flanke der Verteilung zwischen Arm und Reich wurde also abgesichert, indem alle in die Rolle potenzieller ErbInnen hineingeträumt wurden oder sich selbst hineinträumten.
 
 
 
  Die zweite umkämpfte Flanke war die Verteilung zwischen Arbeit und Kapital. Der seit Jahren sinkende Anteil der Löhne am Volkseinkommen, bei steigenden Gewinnen, ließ die Gewerkschaften dieses Jahr mit großen Forderungen in die Lohnverhandlungen gehen.

Als Gegenangebot zauberte die Unternehmerseite die Idee "Mitarbeiterbeteiligung" hervor. Mit Mitarbeiter- bzw. Gewinnbeteiligungen erhalten Lohnabhängige keine Beteiligung an Entscheidungen im Unternehmen, aber eine Beteiligung am Unternehmensrisiko, für das eigentlich das Management die Verantwortung trägt. Mit Verweis auf diese Unternehmenserfolgsprämie wird dann die Fixbezahlung in Form von dauerhaften Lohnerhöhungen vernachlässigt. Der politische Vorteil ist offenkundig: Bei Diskussionen über steigende Gewinne und sinkende Löhne kann immer argumentiert werden, die Lohnabhängigen seien ja auch an den Gewinnen beteiligt. Dass die Löhne, die mit diesem Argument gedrückt werden, anteilsmäßig viel entscheidender für das Einkommen der meisten Beschäftigten sind, und die Anteile an den Gewinnen höchst ungleich verteilt sind, fällt dabei unter den Tisch. Gleichzeitig wird die Unterstützungsbasis für unternehmerfreundliche Politik potenziell auf mitarbeiterbeteiligte Angestellte, die nicht so genau nachrechnen, ausgeweitet.

 
 
  In der dritten Arena der Auseinandersetzung um aktuelle Verteilungsfragen lässt bislang eine zündende Rechtfertigungsidee noch auf sich warten: Für explodierende Managergehälter hat sich noch kein Argument gefunden, das die Leute überzeugen würde. An Diskussionsstoff rund ums Aufkochen vs. Abdämpfen der Verteilungsdebatte wird es folglich auch im Jahr 2008 nicht fehlen.
 
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