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Wien | 23.1.2008 | 13:17 
Werkzeuge zur geistigen Selbstverteidigung in Wirtschaftsfragen. Der Pinguin ist zu Hause in Malmoe.

Sonja, Rotifer, HansWu

 
 
Dieter Bohlen am Arbeitsamt
  "You're fired!" Mit diesem Markenspruch kickte US-Millionär Donald Trump ab 2004 als Versager abgestempelte KandidatInnen aus seiner NBC-Show "The apprentice". Diese mussten sich dort an Trumps Aufgaben abarbeiten und anschließend von ihm schulmeistern lassen. Doch sie ließen es gern mit sich geschehen - denn am Siegespodest winkte ein Super-Job im Trump-Imperium.
 
 
"Sie haben ab heute frei"
  Damit war das Job-Casting-Format im TV etabliert und produzierte Abziehbilder auf der ganzen Welt. In Deutschland wollte zwar niemand den Fernsehproduzenten John de Mol beim "Hire and fire" auf Pro 7 sehen (nach der ersten Folge abgesetzt), aber Ex-Fußballtrainer Rainer Calmund hielt sich als "Big Boss" 2004/05 über viele Folgen lang auf RTL. Junge WirtschaftskarrieristInnen schickte der Pol Pot im Nadelstreif zum Würstchenverkaufen und Kaffeekochen, um ihre, äh, Managementfähigkeiten zu testen. Wer den Drill&Grill-Parcours als SiegerIn überstanden hatte, konnte 250.000 Euro als Startkapital zur Gründung eines eigenen Unternehmens einstecken. "Sie haben ab heute frei", hieß es hingegen für die anderen. "Es geht um Optimismus, ums Anpacken, um Leistungswillen", so Calmund über "seine Philosophie".

 
 
  Ein richtiger Quotenhit war der "Big Boss" aber nie. Dennoch schießen seit letztem Sommer plötzlich die Job-Casting-Shows wieder wie Pilze aus dem Boden. "Ein Job - deine Chance" bei Sat 1 floppte zwar, doch "Mein neuer Job" auf Kabel 1 und "Deine Chance! 3 Bewerber - 1 Job" auf Pro 7 laufen scheinbar wie geschmiert. Und einen Tag nach Neujahr begrüßte "Der Arbeitsbeschaffer" heuer die RTL-SeherInnen mit einer Pilotfolge.

Im Gegensatz zur ersten Welle an Formaten, die aus den Castingshows à la Starmania arbeitsmarktlichen (Halb-)Ernst machten, segelt diese zweite Welle der televisionären Arbeitsvermittlung im Kielwasser der Help-TV-Formate, die im deutschen Privat-TV boomen. Dort wieseln den ganzen Tag paternalistische Richter, Schuldnerberater, Super-Nannies und andere Lichtgestalten durchs Bild, um in proletarischen Haushalten bürgerliche Ordnungsvorstellungen durchzusetzen.
 
 
 
Würstchen forever
  Im Unterschied zu den peer reviews der Chef-Elite wie "The Apprentice" und "Big Boss", wo die Etablierten die Emporkömmlinge in einer Art Initiationsritus erstmal demütigen, bevor sie dazugehören dürfen, geht es bei den neuen Shows um das Festschreiben von oben und unten. Hier werden nicht Aufstiegshoffnungen und Super-Jobs verhandelt, und das Würstchenverkaufen ist hier auch kein maliziöses Probefeld für den Chefsessel, sondern selbst der Silberstreif am Horizont.
 
 
 
  Natürlich geht es - wie in Casting Shows üblich - ganz viel um die Persönlichkeit der ProbandInnen: Zu schüchtern? Zu faul? Zu untalentiert? Zu eigenbrötlerisch? Alles gemessen an den bekannten herrschenden Persönlichkeitsnormen auf dem Jobmarkt - kompetent, kontaktfreudig, selbstkritikfähig, flexibel, teamfähig, unterordnungswillig, und und und muss sein, wer auch nur irgendeinen Job will. Die umfassende Analyse aller Persönlichkeitsdefizite der KandidatInnen, die die Testaufgaben der Chefs durchlaufen, wird von einem Panoptikum aus Chefs, Kundschaft, FreundInnen und KonkurrentInnen geleistet. Das Fließbandartige und Schematische dieser Doku-Soaps ist dabei vielleicht aussagekräftiger als der Informationsgehalt, der suggeriert, Tipps für die Bewährung am Arbeitsmarkt zu liefern. Der Haupthinweis ist: Selbst vor dem banalsten Lehrberuf steht jetzt ein umfassendes Assessmentcenter. Jeder billige Klitscheneigner kann sich heute als wählerischer Big Boss aufführen, als Dieter Bohlen für buchstäblich Arme. An ihn werden niemals Fragen gerichtet. Ganz ohne scheindemokratische Publikums-Votings wie bei großen Casting-Shows entscheidet er ganz allein. Durchaus schlüssig also, dass eine Drogeriemarktkette in einer Stellenanzeige mal tatsächlich zum "Job Casting" einlud. So etwas wie Ansprüche an den Job sind in diesen Sendungen kein Thema. Das Wort des Chefs ist der Maßstab aller Dinge, und Du kannst froh sein, wenn Dich irgendwer für irgendwas nimmt - das ist die heimliche Hauptbotschaft. Wenn es hoch kommt, dann ist die zu vergebende 1.000 Euro-Tierpfleger-Stelle eben auf Mallorca ("Mein neuer Job" reiht sich mit der Vergabe von Auslands-Jobs in die Kabel 1-Formate über Deutschland-Auswanderer ein)... Arbeitsbedingungen oder auch nur Gehalt werden höchstens am Rande erwähnt. Spricht ein/e BewerberIn das an, wird sogleich mangelnder Siegeswillen konstatiert.

 
 
Ohne Eigeninitiative in der Spielhölle
  Das Ende der Fahnenstange ist dann in "Der Arbeitsbeschaffer" erreicht: Ein selbständiger Arbeitsvermittler, Marke schnippischer Anzugs-Yuppie, vermittelt Hartz IV-EmpfängerInnen in Jobs wie Altenpflegerin, Spielhöllen-Barkraft und Hausmeister. Eine illusionslose Illustration der Arbeitsmarktlage und dem dominierenden Lösungsansatz "aktivierende Arbeitsmarktpolitik" mit seiner Individualisierung sozialer Probleme, begleitet von Privatisierung der Arbeitvermittlung. Ihre vermeintlichen Erfolge werden am Menschenmaterial, das die Misere der "sozialen Hängematte" veranschaulichen soll, vorgeführt. "Ja, haben denn diese Leute keine Eigeninitiative?" läuft als permanenter unsichtbarer Lauftext durch das Bild. Die bittere Wahrheit ist: In einem Umfeld, in dem es sechs Mal so viele Arbeitslose wie offene Stellen gibt (Zahlen für Gesamtdeutschland - in Ostdeutschland ist das Verhältnis sicher noch ungünstiger), verbleibt als Einziges, sich mittels besonderer Vorzüge oder Beziehungen in der Schlange nach vorne zu schummeln. Menschen ohne solche Trümpfe bleiben hinten bzw. draußen. Mit ihnen kann sich so ein schneidiger Arbeitsbeschaffer dann als Wohltäter profilieren, in dem er ihnen mit der Connection Fernsehöffentlichkeit im Rücken Schienen legt, die sie nie erklimmen könnten. Er kann dafür die hämischen Lacher aus der Mittelschicht für sich verbuchen, wenn er den Kandidaten für den Hausmeister-Job dafür rügt, dass er im Hausmeister-Outfit und nicht im Nadelstreif zum Bewerbungsgespräch kommt und dann auch noch zögert, seine Familie für einen 100km entfernten Job mit 24h Rufbereitschaft zu verlassen. Der disziplinierende Blick von oben nach unten bleibt noch mit den absurdesten Ansprüchen im Recht.
 
 
 
  Ob die 2.000 Euro, die der Arbeitsbeschaffer im echten Leben dafür vom Arbeitsamt an Vermittlungsgebühr bekommt, gut investiert sind, um das Problem der Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, steht auf einem anderen Blatt.
 
 
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