Die Lebensmittelpreise steigen seit Monaten an. Seitdem der Anstieg in Ländern wie Haiti Hungerrevolten hervorgerufen hat, wird auch der globale Norden darauf aufmerksam. Zuletzt ist die Bezeichnung "Agflation" (Agrarpreis-Inflation) dafür in Umlauf gekommen. Was hat dazu geführt?
Ölige Probleme
Die Kosten der Nahrungsmittelproduktion sind vor allem durch die Verteuerung von Öl gestiegen. Dadurch wurde Benzin für Traktoren und andere Fahrzeuge teurer. Auch Düngemittel und Schädlingsbekämpfungsmittel kosten mehr.
Chinesischer Fleischgenuss
Der steigende Wohlstand in stark wachsenden Regionen wie China und Indien führt zu veränderten Ernährungsgewohnheiten. Immer mehr Leute essen jetzt - so wie in Europa und Nordamerika - Fleisch. Und um Fleisch "herzustellen" ist enorm viel Futtermittel notwendig, das dann für den Eigenverzehr der Menschen fehlt, wenn es knapp wird. In einer anschaulichen Grafik im Standard vom 10.5.08 ist zu sehen, dass derzeit 17% der Weizenproduktion und 60% der Maisproduktion für Tierfutter verwendet wird.
Ein Weltmarkt für Getreide
Dürre in großen Anbaugebieten (v.a. Australien) hat das Angebot an Getreide verknappt. Durch die Weltmarktintegration ist das zu einem globalen Problem geworden. Durch die fortschreitende Liberalisierung des Welthandels, zu der die Länder des globalen Südens überredet worden sind, ist die Welt immer mehr von wenigen Produzenten abhängig geworden. Denn mit ihrer Massenproduktion, die die Herstellung verbilligt, konnten sie viele lokale Kleinbauern unterbieten und somit vom Markt verdrängen.
Ein längerer Blick zurück lässt erkennen, dass die jüngsten Preissteigerungen im historischen Vergleich eher eine Normalisierung darstellen. Zuvor ging, dank dem zunehmend liberalisierten Welthandel, der Preis-Trend nach unten. Außergewöhnlich war weniger der jetzige Anstieg als der starke Verfall in den Jahren zuvor. So hat der Preis für Korn jetzt wieder beinahe das Durchschnittsniveau der Jahre 1945-1980 erreicht, der Preis für Reis liegt bei rund 80% dieses Vergleichswerts. Kakao, Tee, Kaffee, Baumwolle und Zucker hingegen kosten derzeit nach wie vor etwa die Hälfte von damals. Nur Ausnahmen wie Weizen und Bananen sind auch im historischen Vergleich enorm teuer.
Nachteil der Weltmarktintegration: Der Preisverfall der letzten Jahrzehnte hat viele Kleinbauern vom Markt verdrängt, und einige "Selbstversorger"-Staaten (z.B. Haiti) von Lebensmittelimporten abhängig gemacht. Zwar wird von internationalen Organisationen gesagt, der Preisanstieg sei eine Chance für kleinbäuerliche Strukturen, wieder in die Produktion "einzusteigen", aber in der Landwirtschaft geht das saisonbedingt eben nicht von heute auf morgen. Und wenn die liberalisierten Märkte in der nächsten Saison wieder eine Preissenkung bringen, weil alle angelockt von den hohen Preisen den Markt mit ihrem Angebot überschwemmen (so genannter "Schweinezyklus"), zahlt sich das für die Kleinen wieder nicht aus. Ohne internationale Abkommen und Behörden, die langfristige Planungen machen und die Preise stabilisieren, sind die Aussichten auf einen kleinbäuerlichen Wiederaufbau gering.
Alles bio oder was?
Die Förderung von "Bio"sprit in den USA und EU hat eine künstliche Nachfrage geschaffen, die die Nahrungsmittelproduktion in vielen Gebieten verdrängt hat. Aber das gilt nur für wenige Lebensmittel-Sorten (Raps, Soja). Der Preisanstieg für Reis hat mit Biosprit nichts zu tun. Mittlerweile beginnt die EU ihre Förderung von "Bio"sprit zu überdenken - sehr "bio" im Sinne von nachhaltig und umweltfreundlich ist diese Treibstoffalternative ohnehin nicht.
Ware Reis
Der Zusammenbruch des spekulativen Immobilienbooms in den USA, Großbritannien und anderen Ländern, hat dazu geführt, dass Anleger auf der Suche nach Renditen vermehrt Lebensmittel "entdeckt" haben. Das hat den langsam steigenden Preistrend weiter angeheizt, und zu den großen Sprüngen geführt die wir beobachtet haben (denn andere Faktoren wie etwa der steigende Fleischkonsum in China und Indien kam ja nicht über Nacht). Wie der Entwicklungsökonom Rainer Falk im "Informationsbrief Weltwirtschaft und Entwicklung" 5/08 berichtet, ist in den letzten Jahren der Handel mit Rohstoff- Futures und Optionen geradezu explodiert. Lebensmittel sind nun, wie zuvor Häuser, vermehrt zum Spekulationsobjekt geworden.
Was tun?
Die Krise führt jetzt zum Wettkampf der diversen Problemlösungen: Die einen wollen mit Technologie (inkl. Gentechnik) die Landwirtschaft intensivieren und so mehr aus den Böden rausholen. Die anderen wollen endlich die Subventionen für Bauern in der EU kappen und den Welthandel weiter liberalisieren. Relativ am Rande stehen die, die mehr Planungselemente für die weltweite Nahrungsmittelproduktion fordern, und die, die mit einer Förderung nachhaltiger kleinbäuerlicher Strukturen Umverteilung und Nachhaltigkeit verknüpfen wollen.