Die US-Regierung war letzte Woche zum Schluss gekommen, dass das anhaltende Misstrauen unter den Finanzinstituten nur dadurch beendet werden kann, dass der Staat alle "Leichen im Keller" der Banken aufkauft: Also all jene Wertpapiere und Kreditforderungen, die derzeit niemand kaufen will, weil niemand sicher ist, wie viel sie wirklich wert sind. Für den Fall, dass sie sich nach Ende der Krise noch immer als unverkäuflich und somit tatsächlich wertlos erweisen, hätte der Staat und damit die Steuerzahlenden die Kosten zu tragen. Für den Fall, dass die Vertrauenskrise endet und wieder bessere Bedingungen herrschen, könnten diese Papiere nach und nach wieder verkauft werden. Dann hätte der Staat zumindest einen Teil des Geldes nur vorgestreckt, würde aber keinen bzw. nur einen Teilverlust erleiden.
Eine Menge offener Fragen
Dass der Plan vorerst abgelehnt wurde, zeigt erstens das Spannungsverhältnis zwischen dem Geschwindigkeitsdruck von Finanzmärkten und Demokratie: Es muss schnell gehandelt werden, um weitere Zusammenbrüche zu verhindern. Aber Blitzentscheidungen vertragen sich schlecht mit demokratischen Prozeduren, wo unterschiedliche Interessen unter einen Hut gebracht werden müssen. Gute Lösungen brauchen Zeit zum Verhandeln und Nachdenken. Dem Finanzminister über Nacht einen Blankoscheck über 700 Milliarden Dollar auszustellen, und ihm zu überlassen, was er damit tut, bedürfte einer gesunden Portion Vertrauen auf Seiten der ParlamentarierInnen. Wer bekommt das Geld unter welchen Bedingungen? Nur die Banken? Wieso nicht auch verschuldete HausbesitzerInnen, die nach dem Platzen der Immobilienblase Rückzahlungsprobleme haben? Und nach welchen Kriterien wird entschieden, von welcher Institution welche Papiere zu welchem Preis aufgekauft werden? Wie wird unfaire Bevorzugung von Günstlingen vermieden? Eine Menge offener Fragen für eine Entscheidungsfrist von wenigen Tagen.
Die Ablehnung zeigt zweitens, wie schwer sich die Republikanische Partei (denn sie war es, die im Repräsentantenhaus mehrheitlich gegen den Plan stimmte) darin tut, sich von der Linie zu verabschieden, dass freie Märkte immer die beste Lösung sind. Denn die staatliche Rettungsaktion wird allerorts als Eingeständnis interpretiert, dass die Lösung, die Finanzmärkte sollten am besten so wenig reguliert werden wie möglich, nicht mehr hält. Vielen Abgeordneten ist es lieber, konsequent dem wirtschaftsliberalen Pfad auch in entbehrungsreichen Abschnitten des Weges treu zu bleiben, und in Schwierigkeiten geratene Finanzhäuser sich selbst zu überlassen - und sei es um den Preis, dass sie damit andere Wirtschaftsbereiche mit in den Abgrund reißen.
Wieso brechen die Börsen ein?
Die Reaktion der Börsen auf das Scheitern des US-Pakets war ein rasanter Kurseinbruch, von New York bis Wien. Der Grund dafür ist Pessimismus, dass die Krise nun weitergeht: Dass Finanzhäuser weiter an Problemkrediten kauen müssen und keine Gewinne machen, ja teilweise sogar richtige Schwierigkeiten bekommen. Und dass sie deshalb immer knausriger beim Vergeben neuer Kredite werden, und so auch anderen Wirtschaftszweigen Probleme machen: Wenn Unternehmen und Haushalten, die für Investitionen und Konsumausgaben auf Kredite angewiesen sind, plötzlich der Hahn abgedreht wird, verdüstern sich die Wirtschaftsaussichten für alle Wirtschaftszweige. Und da sich Aktienkurse nach Erwartungen künftiger Gewinnaussichten der börsennotierten Unternehmen richten, sind fallende Aktienkurse angesagt.
Warum schwappt die US-Krise nun doch nach Europa?
Erstens waren einige der am Wochenende zum Sanierungsfall gewordenen Finanzinstitute geschäftlich in den USA engagiert. Sei es, dass sie in guten Zeiten Wertpapiere kauften, die nun als wertlos gelten, und Verluste bescheren. Sei es, dass sie an US-Finanzhäusern beteiligt sind, die nun in Schwierigkeiten geraten. Zweitens baut das Geschäftsmodell einiger Institute auf Voraussetzungen auf, die sich erst jetzt in der Krise als gefährlich erweisen. Etwa, wenn Finanzhäuser zwar keine faulen Kredite vergeben haben, aber diese oft langfristigen Kredite aus Geld finanziert haben, das sie sich von anderen Banken kurzfristig ausgeborgt haben. Das war in den letzten Jahren total in Mode, weil das gegenseitige Ausborgen von Krediten zwischen den Banken aufgrund niedriger Zinsen und ausreichend vorhandener Mittel florierte. Das erste europäische Krisenopfer, die UK-Bank Northern Rock setzte auf dieses Modell. Und musste nach wochenlanger Krise verstaatlicht werden, als das kurzfristige Kreditaufnehmen plötzlich ins Stocken geriet. Diese Situation hält seit Monaten an: Aus Angst, an jemanden zu verleihen, der eventuell selber bald Probleme kriegen könnte, verleihen die Banken untereinander fast nichts mehr.
Gefahr gebannt?
Auf die meisten österreichischen Finanzinstitute trifft beides nicht zu: Ihr Geschäftsschwerpunkt liegt in Osteuropa, nicht den USA. Und sie finanzieren sich stark über Spareinlagen, nicht über kurzfristige Kreditaufnahme am Zwischenbankenmarkt. Das macht sie bislang krisenresistent. Zudem haben sie in den letzten Jahren gute Gewinne gemacht, die helfen sollten, notfalls auch ein paar Verluste aufzufangen, wenn welche auftreten.
Und was, wenn plötzlich doch was schiefgehen sollte? Bislang waren europäische Regierungen wild entschlossen, bei jeder Krise einer größeren Bank helfend einzuspringen. Was in Österreich mit der Bawag geschah, passierte nach einigem Zögern auch mit Northern Rock, und letztes Wochenende mit der belgischen Fortis und anderen Instituten im Norden Europas. Soweit, dass eine Bank schließen muss, und die SparerInnen auf die Einlagenversicherung (sie garantiert in Österreich bis zu 20.000 Euro jeder Spareinlage) angewiesen sind, wird es kaum kommen.