Ein Guru, der hin- und hergerissen ist zwischen Erfolgsdruck und der Treue zu seiner Lehre: Die neue Mike Myers Komödie "Love Guru" macht aus diesem Plotpotenzial eine Austin-Powers-Verlängerung, die mit hoher Penis-Witz-Frequenz durch einen Sauhaufen von Film pflügt. Eine angebliche Herabwürdigung hinduistischer Religion, die einen Hindu in den USA zu einer Protestkampagne veranlasste, zählt wohl zu den geringeren Problemen des Films. Auch nicht besser, aber ebenso vom Guru-Thema angezogen, sind Michel Houellebecqs soeben in Frankreich angelaufene Romanverfilmung "Die Möglichkeit einer Insel", und Alf Poiers neues Kabarett-Programm "Satsang". Die besten Momente dieser sind jene, in denen die Marketingtricks erfolgreicher Gurus persifliert werden.
Love and Money
Denn, dass das Guru-Thema aufgegriffen wird, entspringt nicht bloß einer Liebe für Swinging Sixties-Retro-Stoff. Die Bilder prominenter Guru-Adepten, die im Vorspann von "Love Guru" vorbeiziehen, reichen von den Beatles bis zu Tom "Scientology" Cruise. Und führen so in eine Gegenwart, in der Myers Film-Guru sich in Konkurrenz zu einer realen Person verortet: Dem Super-Guru Deepak Chopra, der mit seiner Mischung aus Meditation, Esoterik und Lebenshilfe ein Massenpublikum erreicht. Sein Kollege Sri Sri Ravi Shankar, ein Schüler des Beatles-Guru Maharishi Mahesh Yogi, schaffte es unlängst zu einer Titelstory in der Wochenendbeilage der Financial Times.
Das zeigt, dass die Guru-"Branche" mittlerweile zunehmend unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten interessant wird: Deepak Chopra verdient angeblich rund 20 Millionen Dollar pro Jahr. In den USA machen 15,8 Millionen Leute Yoga, und geben dafür geschätzte sechs Milliarden Dollar jährlich aus. Die internationale Yoga-Industrie wird auf 42 Milliarden Dollar geschätzt. Von einem Modephänomen der Hippie-Kultur in den 60er und 70er Jahren ist der Kult um vorwiegend indische Gurus zu einer Massenangelegenheit geworden. Er hat damit auch seinen Charakter verändert: Das Versprechen auf ein anderes Leben abseits herrschender gesellschaftlicher Leitbilder ist abgelöst worden durch das Versprechen auf eine Effektivierung des Selbst im Rahmen der bestehenden Ordnung. So muss das Guru-Wesen heute im Rahmen der für die USA auf 8,5 Milliarden Dollar geschätzten Selbsthilfe-Industrie verortet werden.
Vom Aussteiger- zum Selbstoptimierertum
Von Anhängerinnen der spirituellen "Reinen Lehre" wird der Ansatz von Sri Sri Ravi Shankar und Co. als "Fast food Spiritualität" kritisiert. "Crash Kurse in Selbstverwirklichung" statt jahrelange Meditationsübungen, kleine Bonmots statt rätselhafte Texte - das Angebot der neuen Gurus hilft stressgeplagten Workaholics, Reichen auf Sinnsuche und Karrieredefizitären bei der Optimierung des Selbst im Sinne einer Anpassung an ein immer anspruchsvolleres Wettbewerbsumfeld, in dem Persönlichkeit und Charakter zu entwickeln als zentrale Anforderung gilt.
"Love Guru"
Volkssport Guru-Bashing
Dass Gurus von der Medienöffentlichkeit kritisiert und von der Unterhaltungsindustrie gern verarscht werden, ist nichts Neues. In den 60ern wurde der Beatles-Guru als ausbeuterischer Scharlatan denunziert, und Gurus wurden in Hippie-Komödien gern als Unsinn schwafelnde falsche Fuffziger dargestellt. Zwar war die Kritik an der Unterwerfung unter esoterische Autoritäten durchaus mit emanzipatorischen Idealen der zeitgenössischen Protestkultur vereinbar.
Doch die Stoßrichtung der Mainstream-Kritik kam von rechts: Nicht die Kritik an Autoritäten an sich, sondern an dem Charakter von Gurus als falsche Autoritäten, vermengt mit rassistischen Untertönen bei der Verarschung von indischen Bräuchen als lächerlicher Hokuspokus, stand im Vordergrund. Diese Kritik ist geleitet von einem konservativen Gesellschaftsmodell, in dem traditionelle Autoritäten und die Vorstellung von einem autarken, innengeleiteten Individuum als Leitbilder fungieren. Diese Kritik an Gurus taucht heute in der Kritik an der Selbsthilfe-Industrie wieder auf. Ich-Schwäche, Narzissmus und Kollektivismus der Anhängerschaft, sowie unbefugte Anmaßung einer Autoritätsstellung und Gehirnwäsche durch falsche Gurus sind ihre Hauptkritikpunkte.
Die verbreitete Verhöhnung der Guru- und Selbsthilfe-Industrie steht implizit im Kontext der diskursiven Entsorgung von 68er-Errungenschaften: Es ist der Glaube an die Veränderungsfähigkeit von Menschen, der hier angegriffen wird. Biologismus ist das zeitgenössische Hilfsmittel. In einer Titelstory des Nachrichtenmagazins "profil" wird die Lebenshilfe-Industrie mit ihren BeraterInnen, Coaches und Handbüchern als "Lebenslügner" angegriffen. Schön und gut, die Individualisierung des Versprechens auf Glück unter Ausblendung kollektiver Voraussetzungen (politische Veränderung, Umverteilung etc.) und die kommerzielle Ausnutzung persönlicher Ängste durch zweifelhafte LebenshelferInnen sind tatsächlich Kritik wert. Doch darum geht es "profil" nicht. Sondern Hirnforscher und Genetiker werden als Kronzeugen aufgerufen, um festzuhalten, dass "ein Mensch sich nicht so einfach ändern kann". Die Wochenzeitung "Falter" kritisiert am Plot der TV-Serie "Samantha Who?", in der eine Zicke nach unfallbedingter Amnesie ihr Leben und sich selbst verändern will, dass das "neurologisch betrachtet eine bedenkliche Theorie" sei.
Was Comedy-Serien wie "Samantha Who?" oder auch "My name is Earl" aber interessant macht, ist genau dieses Festhalten an Selbstveränderung, die nicht auf Verwertungsoptimierung aus ist. Der neurologisch unterfütterte Konservativismus stellt das prinzipiell in Abrede: Wer wir sind, ist genetisch bedingt. Veränderung ist nicht möglich. Auch Alf Poiers kabarettistische Rückschau auf seine vergebliche Suche nach Erleuchtung gipfelt in einem resignativen "Es gibt keine Entwicklung!"
Jason Lee in "My Name is Earl"
Der Guru als Struktureffekt
Bei der Kritik an Scharlatanen und ihren vermeintlich dummen AnhängerInnen wird gern ausgeblendet, dass aktuelle gesellschaftliche Bedingungen charismatische Gurus und den Bedarf danach geradezu systematisch hervorbringen. Ein Mediensystem, das nach Stars und charismatischen Persönlichkeiten giert und diese verstärkt, ist sicher ein wesentlicher Faktor für das Superstar-Werden von Gurus. Der wachsende Bedarf an Hilfestellung für die Persönlichkeitsveränderung durch teure Gurus (für Vermögende) oder billige Selbsthilfebücher und Horoskope (für Arme) ist aber vor allem Ausdruck einer Überforderung durch die Auflastung von immer mehr individueller Verantwortung, für die die Voraussetzungen nicht gegeben sind: Höchstleistungsanforderungen in Berufen, die das ganze Privatleben auffressen, Verlängerung des Leistungswettbewerbs in die Freizeit, und individueller Glücksimperativ lassen das "erschöpfte Selbst" (Alain Ehrenberg) zum Massenphänomen werden.
Dies dank jener politischen Kräfte, die mit denselben Argumenten wie gegen Gurus und Selbsthilfe alle Vorstöße für gesellschaftliche Absicherung, Verantwortungsteilung und Ökonomisierungskritik als Bevormundung durch einen "Nanny State" abwehren. Die Unsicherheit auf Märkten und der dauerbeschleunigte Innovationszyklus erzeugen sogar im vermeintlichen Inbegriff von Rationalität und Autonomie, dem Unternehmenssektor, Bedarf an Fremdhilfe: Der Begriff "Management Gurus" für die Stars der Unternehmensberatungsindustrie spricht Bände. Die volatile Welt der Börse produziert gleichfalls regelmäßig ihre "Börsen Gurus" als Leithammel für KleinanlegerInnen.
Und dass Polittypen mit Charisma wie Barack Obama oder Hugo Chavez mit ihren heilversprechenden Leerformeln Guru-hafte Zustimmung erfahren, hat mit einem Bedürfnis nach kollektiver Veränderung zu tun, das sich offenbar mit geeigneten Mitteln gern wieder aus dem Dornröschenschlaf der Politikverdrossenheit wecken lässt. Wann entdeckt endlich jemand kollektive emanzipatorische Selbsthilfe als Marktlücke?