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Wien | 30.12.2008 | 14:40 
Werkzeuge zur geistigen Selbstverteidigung in Wirtschaftsfragen. Der Pinguin ist zu Hause in Malmoe.

Sonja, Rotifer, HansWu

 
 
Vom Börsesaal zum Jammertal
  Spätestens seit dem Herbst 2008 hat die Finanzkrise sich auch in Europa so wichtig gemacht, dass kein Jahresrückblick dran vorbei kann. Was 2007 noch wie ein US-Phänomen aussah, hat sich im Lauf des Jahres 2008 zuerst auf jene EU-Banken ausgeweitet, die am einbrechenden US-Markt engagiert waren (Zu damit verbundenen Fragen siehe hier und hier). Und hat schließlich auch bis dahin unbeteiligt scheinende erfasst - die Krise hat ihre Kreise um den Globus gezogen. Ein allgemeiner Vertrauensverlust und Notverkäufe von krisengeschüttelten Akteuren führten dazu, dass Gelder internationaler AnlegerInnen etwa auch aus Osteuropa abgezogen wurden, wo nicht zuletzt österreichische Banken stark im Geschäft sind (so stark, dass in den letzten Jahren gut die Hälfte ihrer Einnahmen aus dem Osteuropageschäft stammten). Wenn dort jetzt die Wirtschaften einbrechen, dann drohen den Banken große Kreditausfälle. Viele heimische Banken werden deshalb im neuen Jahr Geld aus dem staatlichen Rettungsfonds beantragen.
 
 
  Im Jahresrückblick 2007 konstatierten wir noch, dass die Verteilungsfrage wieder verstärkt diskutiert werde. Ist aus dieser Perspektive Jubel angesagt, weil der Staat zurückkommt?
 
 
 
"Rückkehr" des aktiven Staates?
  In jedem Wirtschaftssystem nimmt der Staat die Grundfunktion wahr, das System am Laufen zu halten. Die Rettungsaktionen in den USA und der EU für den vom Kollaps bedrohten Finanzsektor gehören in diese Kategorie, der Sicherung der Systemstabilität. Dass zur Wahrnehmung dieser Grundfunktion außergewöhnliche Maßnahmen aufgefahren wurden - Erhöhung der Einlagensicherung (zum Teil auf 50.000 Euro, Großteils auf 100.000, in manchen Ländern sogar unbegrenzt), Gewährung von Unsummen an Garantien für Kredite zwischen Banken (in der EU insgesamt 1800 Milliarden Euro) und Kapitalbereitstellung (280 Millliarden), zum Teil komplette Verstaatlichungen von Banken - verhalf der Einschätzung zur Verbreitung, "der Staat" sei "zurück".

 
 
  In eine Welt ist der Staat tatsächlich als unangenehmer Überraschungsgast hineingeplatzt: In die Modellvorstellungen wirtschaftsliberaler Theorien, die davon ausgehen, dass der Kapitalismus sich über Privateigentum und Marktprozesse irgendwie von selbst reguliert und stabilisiert, und der Staat nur stört, wenn er sich über bescheidene Kernfunktionen (Schutz des Eigentums, Rechtsordnung etc.) hinaus ins Wirtschaftsleben einmischt. Dass diese Theorien jetzt mit einer Realität konfrontiert werden, die in den Modellen nicht vorgesehen ist, mag deren Einfluss auf die Wirtschaftspolitik in naher Zukunft etwas dämpfen.
 
 
 
  Die massiven Staatsinterventionen als Signal zu werten, dass jetzt auch Verstaatlichung und Umverteilung wieder im Aufwind seien, wie es manche Kommentatoren tun, scheint jedoch verfrüht. Der Staat ist kein per se sozial gesinnter Akteur, sondern umkämpftes Terrain. Die Krisenintervention ist die selektive Ausübung einer staatlichen Grundfunktion, kein Paradigmenwechsel hin zu mehr Staatsaktivität auf allen Ebenen. Dass die Staatsorgane die Wirtschaft stabilisieren, und sich dabei in der Rolle der heroischen Retter in der Not ganz gut gefallen, heißt noch nicht, dass sie jetzt auch wieder Gefallen daran finden, Reiche vom Steuerzahlen zu überzeugen und sich unangenehme Verantwortung für die Führung wackliger Betriebe und den Ausbau sozialer Sicherheit aufzuhalsen. Dazu bräuchte es schon politischen Druck, nicht bloß eine Krise.
 
 
 
Warum Banken retten?
  Schon die Krisenintervention selbst ist ja unter Verteilungsgesichtspunkten kein Inbegriff sozialstaatlicher Umverteilungspolitik. Vieles an dem Bankenpaket sorgte für Verwunderung bzw. Verärgerung in der Öffentlichkeit: Dass für viele wichtige Dinge wie etwa Gesundheit, Pflege und tausend andere Sozialleistungen nicht genügend Geld vorhanden ist, aber für die Bankenrettung binnen Tagen Milliarden bereitstehen. Dass SozialhilfeempfängerInnen sich demütigenden Fragen auf Ämtern aussetzen müssen, aber hilfesuchende Bankdirektoren auch noch die Bedingungen vorgeben, unter denen sie staatliche Unterstützung annehmen. Wie kann das sein? Es hat mit gesellschaftlichen Wertungen zu tun. Und vor allem mit unterschiedlicher Verhandlungsmacht: Einzelne SozialhilfeempfängerInnen (sofern sie sich nicht zusammenschließen und durch Masse ein Drohpotenzial entwickeln) haben schlechte Karten, um die Bedingungen für die staatlichen Unterstützungsleistungen hinaufzuverhandeln: Wenn man ihnen nichts gäbe, würde das wenig Schaden für andere anrichten (zumindest keinen, den der Staat nicht polizeilich lösen könnte). Die Banken hingegen haben gewaltiges Drohpotenzial: Der Rest der Wirtschaft ist von Krediten abhängig, die die Banken vergeben. Hilft man den Banken nicht, und sie gehen pleite, so wird möglicherweise die ganze Wirtschaft in den Abgrund mitgezogen. Diese Konstellation stärkt die Verhandlungsmacht der Banken und sorgt für große staatliche Unterstützungsbereitschaft.

 
 
Wer zahlt?
  Die Frage der Verteilung wird sich wieder stellen, wenn es darum geht zu bestimmen, wer für die Krisenmaßnahmen (also die Bankenhilfspakete und die Staatsausgaben zur Konjunkturankurbelung) zahlt, wenn die Krise vorbei ist. Kurzfristig wird sich der Staat das Geld, das er für die Krisenpakete benötigt, über Verschuldung besorgen, also Staatsanleihen an Banken und Private verkaufen. Aber irgendwann kommt der Punkt, wo wieder versucht werden wird, die Verschuldung zu reduzieren. Die dann anstehenden Sparpakete: werden die durch Sozialkürzungen finanziert? Oder aus einer Sondersteuer für jene oberen Einkommens- und Vermögensklassen, die an der Finanzmarktexpansion der letzten Jahre kräftig verdient haben?

 
 
  Klar, vieles von dem Reichtum, der sich in den Boomjahren angehäuft hat, ist weg: Wer in den letzten Jahren Wertpapiere gekauft hat, die sich jetzt als wertlos erweisen (z.B. KäuferInnen von Subprime-Kreditderivaten oder Anteilen im Fonds des Betrügers Bernard Madoff) bzw. im Preis drastisch gefallen sind, ist mit einem Schlag um ein Stückweit weniger reich als noch vor einem Jahr (In den ersten 9 Monaten des Jahres 2008 hat sich der Wert der privaten Veranlagungen in handelbaren Wertpapieren in Österreich um 14% verringert). Doch viele haben rechtzeitig in Sparguthaben umgeschichtet, einige Papiere werden wieder im Kurs steigen und so manche Investments haben sich als stabil erwiesen. Die Reichen nagen trotz Krise noch lang nicht am Hungertuch.
 
 
 
  Während die Verteilung der Lasten für die Finanzierung, also die Frage "Woher kommt das Geld?" schon bedeutenden Zündstoff birgt, ist die Verteilung der Ausgaben, also die Frage "Was tun mit dem Geld?" nicht minder brisant. Während verschiedene Wirtschaftsbranchen darum wetteifern, wer dringender staatliche Unterstützung braucht, verschiebt sich unmerklich die gesellschaftliche Prioritätenliste: Die Wirtschaftskrise verdrängt andere Katastrophen wie den Klimawandel und die im Süden nach wie vor akute Ernährungskrise aus den Schlagzeilen und somit aus der Liste der Finanzierungsprioritäten. Lässt sich eine Konkurrenz dieser Aufgaben vermeiden? Vorschläge, die Krise als Chance zu nützen, um einbrechende umweltschädliche Branchen "grün" umzurüsten, gibt es. Aber wie und ob es gelingen könnte, die Hilfe für den Süden mit dem Weg aus der Wirtschafts- und Finanzkrise zu verbinden, ist unklar.
 
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