Die Libro-Pleite liest sich wie eine Lehranekdote für wichtige Aspekte heutigen Wirtschaftens. Andre Rettberg und sein Libro-Konzern haben eine "new economy"- Karriere hinter sich, die in vielem mit dem spektakulären Aufstieg und Fall des amerikanischen Milliarden-Unternehmens ENRON vergleichbar ist, das vor Monaten mit seiner skandalösen Riesenpleite Schlagzeilen gemacht hat:
a) Mit visionären Geschäftsideen die Wirtschaftsöffentlichkeit faszinieren: ENRON präsentierte sich als Inbegriff des virtuellen "new economy"-Unternehmens - Milliardenumsätze wurden mit Finanzakrobatik erzeugt, Produktion wurde anderen überlassen. Libro war demgegenüber ein wenig bescheidener, aber für österreichische Verhältnisse visionär genug - Expansion nach Deutschland und in die unendlichen Weiten des Internet (Remember lion.cc? Im Oktober 01 mußte der Markenname verkauft werden).
Schick, aber nicht Internet genug, fand Andre Rettberg eines Tages...
b) Sich als Deregulierungs-Rambos profilieren: Während ENRON sich als Missionar einer Deregulierung des Strommarkts gerierte (die im Vorzeigeland Kalifornien im Vorjahr in der Finsternis endete), machte Libro der Konkurrenz am deutschsprachigen Buchmarkt ordentlich Dampf: Mit Billigangeboten per Internet wurde die deutsche Buchpreisbindung ausgehebelt und damit dem etablierten Buchhandel (und letztlich sich selbst) Verluste zugefügt. Und die Libro-eigene Buchkette Amadeus ließ die Türen bis in die Nacht offen und lehrte so die heimische Konkurrenz das Gruseln.
c) Mit diesen visionären Goldgräberstimmungsmache-Stories konnten beide an der Börse jede Menge Kohle lockermachen. ENRON und Libro waren an ihren Börsen zu Boom-Zeiten erklärte Lieblinge. Doch irgendwann war die new economy-Zeit, wo Aktienkurse mit interessanten Geschichten statt mit realen Gewinnen in die Höhe getrieben werden konnten, vorbei. Anfang 2001 sackte die Libro-Aktie in den Keller, ENRON detto.
d) Kreative Buchhaltung: Bei ENRON wurden über Jahre die Gewinne um rund 20 Prozent überhöht veranschlagt - insgesamt rund 586 Millionen Dollar zu viel. Riesige Schuldenberge dagegen wurden an den Bilanzen vorbei gemogelt. Auch Libro wird in einem Prüfbericht vorgeworfen, durch kreative Buchhaltung und interne Intransparenz das Ausmaß seiner Misere zu lange verschleiert zu haben. Allerdings in weit weniger frecher Dimension als ENRON, und so dümpelt Libro seit drei Jahren von Krise zu (schließlich finaler) Krise.
Was lernen wir daraus?
1. Von der Zeitschrift Trend zum "Manager des Jahres" gekürt zu werden (wie es ex-Libro-Chef Andre Rettberg, Alexander Maculan und anderen Pleitiers in den letzten Jahren widerfahren ist), ist ein sicheres Indiz für baldige Pleite (soweit ein running gag in Wirtschaftskreisen).
2. Je größer die Rolle der Börse in der Wirtschaft, desto stärker ist wirtschaftlicher Erfolg vom Erfinden guter Geschichten abhängig - eine Zeitlang zumindest. Schlechte Zeiten lassen sich dann noch ein Stück weit mit frisierten Büchern durchtauchen, aber irgendwann müssen dann auch reale Gewinne her.
3. Die lautesten Scharfmacher der Marktwirtschaft sind nicht unbedingt ihre erfolgreichsten Teilnehmer!
4. Marken überleben ihre Erfinder: Unsere Filzstifte werden wir auch zum nächsten Schulbeginn bei Libro kaufen können - irgendjemand wird schon Geld locker machen für den eingeführten Markennamen der Kette.