Vom Abspeichern des ersten "Juno"-Teaserplakats in den Ordner namens "Schönes" auf meinem Laptop, bis zum Erscheinen des gekritzelten "Juno"-Schriftzugs auf der großen Leinwand im Kinosaal, vergingen sechs Monate. In einem Kassandra-Moment kürte ich den Film zum Mitglied im Zirkel meiner Lieblingsfilme, noch ohne ihn gesehen zu haben. Die erste Vermutung wurde von Festivalerfolgen, Preisen und Lobeshymnen aus den verschiedensten Ecken verstärkt. Und so wuchs eine Vorschusslorbeeren-Hecke um den Film, eine Hecke, in der sich in anderen Fällen oft die Erwartungshaltung verheddert und die die Freude am Film zu Fall bringt.
Im Falle von Jason Reitmans "Juno" aber weicht die Hecke zurück, sobald man im Kino sitzt und macht einem freie Sicht auf einen Film, für den man neue Worte erfinden möchte. Bis es soweit ist, bleib ich mal bei "Wunderwerk". Und "Wunder" ist nicht zu hoch gegriffen, immerhin schafft es "Juno", das klassische Problemthema von ungewollter Teenagerschwangerschaft zu etwas völlig anderem umzuarbeiten, ohne dass man ihm den Vorwurf der Bagatellisierung machen kann.
Homeskillet
Der riesige Orangensaftkanister, den Juno (Ellen Page) im gekritzelten Vorspann mit sich herumträgt, hat eine wichtige Aufgabe. Er soll ihr genügend Flüssigkeit spenden, um noch einen dritten Schwangerschaftstest (aka pee stick zu absolvieren. So ganz will es die 16-Jährige noch nicht wahrhaben, dass sie an dem Abend, an dem sie beschloss, die Unterhose mit Kirschmuster auzuziehen und anstatt "Blair Witch Projekt" anzusehen, mit ihrem Freund Paulie Bleeker (Michael Cera) zu schlafen, wirklich schwanger geworden ist. Als könne man das Ergebnis ändern, indem man den Test schüttelt wie eine Zaubertafel, murmelt sie "The little pink plus sign is so unholy" und Rollo, der Herr hinter der Theke, Ladenbesitzer und auch nicht von schlechter Formulierkunst, meint "That ain't no etch-a-sketch. This is one doodle that can't be un-did, homeskillet."
Ellen Page
Neue Sprachwelten
Unzählige Male hab ich mir den Trailer angesehen, um mir die Worte auf den Ohren zergehen zu lassen. Drehbuchautorin Diablo Cody hat ein eigenes Sprachuniversum erschaffen, in dessen Zentrum Juno steht mit ihren Wortkreationen, Satzgebilden und Synonymgeschoßen. Doch wird die Sprachverliebtheit nie zum Selbstzweck oder zum Ersatz für Handlung oder Entwicklung der Charaktere. Und nie schafft die Sprache eine Atmosphäre der Künstlichkeit, nie verkommt das, was gesagt wird, zu einer über-konstruierten Worthülse, die verpufft, sobald sie ausgesprochen wird. Allem, was Juno sagt oder denkt, hört man gerne zu.
Diablo Cody
Mein Baby gehört zu dir
Wenn Paulie Bleekers Mutter meint, Juno sei "different", dann übersieht sie den wichtigen Punkt der Andersartigkeit. Wenn man die Schülerin am Gang als einzige in die Gegenrichtung zur strömenden Schülermasse gehen sieht, dann wird einem klar, dass nicht die Anderen Juno als Außenseiterin sehen, sondern dass Juno sich selbst so positioniert. Dass ihr Anders-Sein durch die Schwangerschaft gleichsam doppelt unterstrichen wird, ist ein genauso schönes Bild wie die Tatsache, dass Juno allen in Stein gemeißelten Kleidungsregeln zum Trotz den dicken Babybauch mit Querstreifenshirts noch verstärkt. Ist sie doch auch benannt nach Juno, der Frau Zeus' und unter anderem Göttin der Geburt. Denn, das beschließt Juno nach einem Besuch in der Klinik und einer telefonischen Auskunft nach einer hasty abortion, das Kind soll auf die Welt kommen und von einem Paar aufgezogen werden, who like totally needs it.
Die Lorings
Dieses Paar, gefunden in den Kleinanzeigen, besteht aus Vanessa, wenn nicht zerfressen, so doch schon sehr angenagt von dem dringenden Wunsch nach einem Baby und Marc Loring. Marc ist wohl dem Nick-Hornby-Laboratorium zur Kreation von Kind-im-Manne-Figuren entwichen. Der Werbejingleschreiber lebt von der Erinnerung an die Zeit, als seine Band Vorgruppe der Melvins war, hegt und pflegt seine Gitarren- und CD-Sammlung, schaut gern Splatterfilme und trägt unterm seriösen Pullover immer noch die Band-T-Shirts. Vanessa greift zum "Alice in Chains"-T-Shirt nur mehr zum Ausmalen des zukünftigen Babyzimmers. Jennifer Garner und Jason Bateman sind fantastisch als Ehepaar Loring, die durch Junos Hereinbrechen in ihr Leben einiges zu überdenken haben. Es wäre leicht gewesen, die beiden Figuren als karrieristische Frau mit überlebensgroßem Babywunsch und Langzeitjugendlichen zu Karikaturen zu verkommen lassen, doch so leicht macht es sich "Juno" nicht.
Jennifer Garner, Jason Bateman
"Juno" findet nicht nur eigene Worte für alles, was gesagt oder gedacht wird, es bricht auch damit, dass manche Szenen in allen Filmen sich ähneln wie ein Ei dem anderen. Doch nicht nur Liebeserklärungen, Schwangerschaftsgeständnisse gegenüber den Eltern (Fantastisch: J.K. Simmons und Alison Janney) sind von taufrischer Eigenständigkeit, nein, auch schafft es der Film auf den obligatorischen "My water just broke"-Satz zu verzichten, der sonst in jedem Film die Fahrt in den Kreißsaal einleitet.
J.K. Simmons
Dancing Elk
Ein Hauch von Wes Anderson kommt auf, wenn das Laufteam der Dancing Elk Highschool in seinen gelb-roten Trainingsdressen durchs Bild rennt und sich bis zum Ende zu einem stummen running gag mausert. Zu diesem Team gehört auch Paulie, der überlegte ruhige junge Mann mit dem Tic-Tac-Spleen zieht immer wieder seine Runden auf der Aschenbahn, bis er am Ende weiß, wo er hinrennen muss und was sein Ziel ist. Denn im Kreis zu rennen ist auf die Dauer unbefriedigend.
Michael Cera
In don't see what anyone can see /
in anyone else
Und wieder: Der Torten-Vergleich
Das klingt jetzt zwar alles bald so, als wäre mir von den "Juno"-Produzenten zuerst ordentlich der Schädel und dann gleich das Gehirn gewaschen worden, aber man merkt diesem Film an, dass hier viel persönliche Prägungen, Vorlieben und Detailverliebtheit mitspielen. Liest man dann ein wenig nach, so erfährt man, dass Schauspielerin Ellen Page Kimya Dawson und The Moldy Peaches für den (sehr empfehlenswerten) Soundtrack vorgeschlagen hat, das Hamburger-Phone ist aus dem Privatbesitz Diablo Codys und die Drehbuchautorin selbst hat die Herren für die Collagen ausgesucht, die im Zimmer von Junos Freundin Leah an der Wand hängen: Der selbstgebastelte Schrein für reife Herren zeigt unter anderem Steve Buscemi und William H. Macy. Und es ist wie bei der Torten-Metapher: Man merkt nunmal den Unterschied, ob sie aus der Tiefkühltruhe stammt oder ob sie von jemandem gebacken wurde, der einem damit eine Freude machen wollte.
Ausschnitt aus der Collage
Schnell ins Kino
"Juno" ist endlich auch eine Variante der independent coming of age Filme mit einer weiblichen Figur. Denn bei aller Wertschätzung von Filmen wie "Thumbsucker" oder "Hallam Foe", mir hingen die männlichen Pubertierer jetzt schon ein bisschen beim Hals heraus.
Ich hab Juno also vor sechs Monaten kennengelernt, übers Internet, zuerst kannte ich nur ein Foto. Und jetzt? Am 15. April 2008 erscheint "Juno" in den USA auf DVD, ein paar Tage später werden wir wohl zusammenwohnen.