Christiane Rösinger ist Musikerin ("Lassie Singers", "Britta"), Songschreiberin und Autorin und lebt in Berlin. Sie schreibt eine wöchentliche Kolumne über ihren Alltag.
Der 3. Oktober, der deutsche Nationalfeiertag, wird ja von allen halbwegs vernünftigen Landsleuten eher kritisch oder gleichgültig begangen. Berlin ist am 3.10. immer voll von Menschen, denn viele Bundesbürger nutzen den freien Tag, um die Hauptstadt zu besuchen. Und auch ich hatte Besuch aus Baden und Belgrad. Besuch, der sich zwar eher für die After-Hour-Szene Berlins interessierte, von mir aber zwecks soziologischer Studien zur Einheitsparty am Brandenburger Tor geführt wurde. "Hier sind immer so Stände aufgebaut, mit Essen und Musik aus allen Bundesländern" dozierte ich, während wir auf eine Indiocombo nach der anderen trafen. Die tanzenden Indianer mit CDs in den beschwörerisch erhobenen Händen sorgten für Menschaufläufe, aber auch für einige kulturelle Verwirrung.
(Foto: DDP)
Nach viel Gedränge erreichten wir die Bühne am Brandenburger Tor. Dort schrie ein sehr blondierter älterer Mann sinnlos zerhackte Sätze in der Art von "Heya Heya always Hardcore" ins Mikrofon. "Scooter!" entfuhr es uns im entsetzten Unisono. Einige entfesselte Rheinländer mit Blumenketten in Deutschlandfarben formten dazu eine Spontan-Polonaise. "Armer H.P. Baxter", dachte ich mitleidsvoll, "wie schlimm muss es sein, zur Kinderbelustigung am Brandenburger Tor auftreten zu müssen".
Erschöpft lagerten wir uns später vor den Fernseher und verfolgten bei RTL 2 die Übertragung des Festes. Auch da wieder H.P. Aber da tanzte er plötzlich ganz engagiert mit zwei halbnackten Dominas durchs lodernde Feuer. Waren wir also nur beim Soundcheck gewesen und hatten völlig unnützes Mitleid mit Scooter empfunden?
Um den Tag irgendwie sinnvoll zu beschließen, zogen wir in den Festsaal Kreuzberg, zu Mutter, eine der besten und ungerechterweise auch erfolglosesten Bands Deutschlands.
Und als mir dann im leicht verwahrlosten Festsaal die Krach- und Soundwellen der Band entgegenschlugen, und der charismatisch-depressive Sänger Max Müller seine wahren, guten, schönen Worte ins Publikum schleuderte, da war alle Pein (Scooter, Deutschland und der 3.Oktober) fast vergessen.