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Berlin | 14.12.2008 | 11:09 
Aus dem Leben der Lo-Fi Boheme

LisaRank, Sonja, Marc

 
 
Weihnachtsmarktstau
  Christiane Rösinger ist Musikerin (Lassie Singers, Britta), Songschreiberin und Autorin und lebt in Berlin. Sie schreibt eine wöchentliche Kolumne über ihren Alltag.
 
 
 
  Weihnachten rückt immer näher - da führt kein Weg mehr dran vorbei, genauso wenig wie an den Weihnachtsmärkten, die in diesem Jahr in Berlin so überhand genommen haben, dass es an manchen Stellen sogar zum Weihnachtsmarktstau kommt. 37 Weihnachtsmärkte zählt man insgesamt - allein im Bezirk Mitte gibt es neun an der Zahl. Mehrere Winterwelten und Schlittschuhbahnen kommen dazu. Das heißt: jeder freie Platz ist mit Bretterbuden voll gestellt. Man hat hier halt sonst nix außer Schulden und erwartet in der Weihnachtszeit 500 000 Touristen im "Hot Wine Capital" Berlin.
 
 
 
Der Gegenentwurf zum bürgerlich Verlogen-Verkitschten
 
 
  In Berlin ist der Weihnachtsmarkt hauptsächlich Rummelplatz. Die größten mobilen Fahrgeschäfte der Welt hat man herangekarrt. Riesenrad und Kettenkarussel in 60 Meter Höhe, Schießstände, Autoscooter, Glühwein, halber Meter Bratwurst, Chinapfanne, Duftöl und das, was sich so Kunsthandwerk nennt. Gleich vier Riesenräder stehen in Mitte herum: Gibt es etwa Traurigeres als ein Riesenrad im Nieselregen, das mit immer leeren Gondeln seine sinnlosen Runden dreht?
Natürlich gibt es auch gleich mehrere Szene-Weihnachtsmärkte. Die Gegenentwürfe zum bürgerlich verlogen-verkitschten Weihnachtsmarkt lassen ihre Antihaltung gerne schon im Namen anklingen: "Trendmafia", "Wicked Christmas" oder "Holy Shit Shopping". Bei letzterem bauen "Berliner Designer, Künstler und Modeschöpfer" ihre Stände auf, die ewigen Taschen aus LKW-Plane und Vesperbrettchen im Fernsehturmdesign sind die wenigen Produkte für Erwachsene, sonst Lätzchen, Käppchen und Strümpfchen wohin das Auge blickt. Alles noch rosaner, himmelblauer, goldiger als in der H&M Babyabteilung. Überall hängen die flachen zwinkenden Comicfigurenpuppen herum, all die blöden Häschen mit ihren umgeknippten Öhrchen, die lieben Monster und die Mäuschen mit dem Kreuzstich-Gesicht.

 Holy Shit
 
 
Erlösung durch wahren Trash
 
 
  Man wird aggressiv in diesem rosa-hellblauen Häschenparadies, flüchtet nach draußen und steht dann visuell überzuckert und innerlich angeekelt auf der zugigen Karl Marx Allee. Aber zum Glück ist das Gegengift, der Alexanderplatz mit dem allertrashigsten Weihnachtsmarkt, nicht weit! Wahrer Trash kann so angenehm sein: Häßliche Menschen, schlechter Glühwein, Kling Glöckchen Klingeling auf Kirmestechno, beheizbare Hausschuhe und ein bizarrer DVDstand - tanzende Indio-Schamanen vor Berglandschaft - all das beruhigt die überanstrengten Sinne.
 
 
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