Prime Cuts: Animal Collective - 'Merriweather Post Pavilion'
Es passiert was, wenn man das Cover des neuen Albums von Animal Collective ansieht.
Nein, ich meine damit nicht nur den optischen Effekt, der es so erscheinen lässt, als würde sich die Grafik bewegen. Als steckte ein Eigenleben in den blattähnlichen grünen Formen vor dem lila Hintergrund.
Auf dem Bildschirm funktioniert es ja besonders gut, da beginnt es rhythmisch zu pumpen wie eine Animation, vielleicht weil die Frequenz des Bildschirms selbst den Effekt verstärkt, was weiß ich.
Aber ich rede, wie gesagt, nicht nur davon, sondern auch von dem emotionalen Effekt, den diese simple optische Täuschung im Hirn eines von CGI-Effekten abgebrühten zeitgenössischen Betrachters auslöst.
Op Art ist schließlich ein ganz ein alter Hut, ein erst als Vorlage für Hemdenmuster entfremdetes, dann von den technologischen Möglichkeiten hinweggespültes Genre.
Vielleicht ist das unverhoffte Wiedersehen mit dieser Ästhetik ja auch gerade deshalb so berührend. Weil es einen daran erinnert, dass sich auch was von selbst bewegen kann, wenn kein Akku oder Kabel dranhängt. Und um wieviel magischer das dann wirkt.
Noch einmal, weil's so schön ist
Wenn dieser Exkurs jetzt ganz furchtbar nach dem Lob des Handgemachten klingt, dann tut mir das zwar ehrlich leid, aber nach aber- und abermaligem Hören bin ich eben zu dem Schluss gekommen, dass 'Merriweather Post Pavilion' in all seiner elektronischen Ausführung ein sehr gutes, im Grunde aber durch und durch altmodisches Psychedelic-Album ist.
Von der im Opener 'In The Flowers' im Anlauf zu den ersten Trommelschlägen des Albums wie ein Motto verkündeten Zeile 'If I could just leave my body for the night' über die in 'Taste' mantrisch wiederholte Zeile "Am I really all the things that are outside of me?", die kindischen Wortspiele ('Lion In A Coma') bis hin zum pseudoafrikanischen Naturvölker-Hippie-Rave von 'Brothersport', der ganz geschwisterlich zum Mitsingen aufruft: "Open up your throat!"
Und wo ich schon gerade das böse H-Wort erwähnt habe:
Machen wir uns nichts vor, Animal Collective sind eine so ungeniert in ihrem von allen politischen Zusammenhängen losgelösten, friedlichen Paralleluniversum agierende Band, dass sie selbst angesichts des Zusammenbruchs der Zivilisation, wie wir sie kennen, zu allererst einmal daran denken würden, sich einen beschaulichen Platz zum Musizieren in der Natur zu suchen.
'Merriweather Post Pavilion' ist nicht zufällig nach einer Freiluftarena benannt, die der Architekt Frank Gehry in den Sixties in einen Wald nahe Columbia, Maryland, gebaut hat. Und zwar mit der Vorgabe, die Erscheinung der freien Natur so wenig wie möglich zu kompromittieren. Weil wir's hier mit Amerika zu tun haben, wird die Baumlandschaft um das Konzertgelände herum gänzlich unprätenziös "Symphony Woods" genannt.
Animal Collective müssen da einmal gespielt haben. Jedenfalls erzählten sie bei unserem Interview (Podcast demnächst) davon, wie sie dort eines Abends im Gras saßen, die idyllische Stimmung genossen und darüber redeten, wie es wohl gewesen sein muss, ihren großen Guru, den Pionier der Minimalist Music bzw. Loop Music Terry Riley in den Sechzigern bei einem seiner die ganze Nacht andauernden Freiluftkonzerte zu erleben.
Da sitzen sie im Freien.
Ihr seht schon, es hilft nichts: die Beschäftigung mit diesem Album führt ständig zurück in jene Ära, der sie in ihrem Geist so eindeutig verpflichtet ist.
Auch wenn in 'Merriweather Post Pavilion' fast keine Gitarren vorkommen, weil Hauptgitarrist Deakin sich diesmal Auszeit genommen hat. Und obwohl oder gerade weil Avey Tare und Geologist bei unserem Interview beteuert haben, dass sie den Psychedelik-Begriff nicht als Nachempfinden des historischen Vorbilds, sondern als Prinzip des forschenden Vorwärtsdrangs verstehen. Was ist heutzutage schließlich noch nostalgischer als der Fortschrittsglaube?
Im Falle dieses Albums äußert sich dieser progressive Gestus in einer sowohl in früheren Animal Collective- als auch auf Panda Bears Solo-Platten - wenngleich nicht in derselben Dichte praktizierten Leidenschaft für atmosphärische Außengeräusche und die Art von voll aufgedrehtem Hall, der so klingt, als wär' alles Unterwasser; selbst die Zikaden, die hin und wieder durchs Klangbild zirpen.
Ich hab' selten eine Platte erlebt, die in meiner Wahrnehmung auf verschiedenen Boxen, in verschiedenen Lautstärken und Gemütsverfassungen so radikal zwischen eingängigem Pop beim einen und fast unhörbarem Salat beim anderen Mal geschwankt hat.
Meine Ohren wollen dann jedenfalls immer wieder zurück zu 'No More Runnin', der einen, in Blubbern, Gluckern und Froschquaken getränkten, sentimentalen Ballade ("Friends I once had turn their thoughts away from me"). Das ist worauf ich hoffe. It's what I hope for. Nie mehr rennen. No more runnin'. Wie wahr. Wie schön.
Und jetzt komm endlich raus, du kleiner Tummy Bug, der in meinem Bauch rumort und mach dein Ding. Let's get it over and done with!