Ohne Nähe und Zärtlichkeit ist ein Orgasmus unmöglich. Der Schlüssel zu Sex ist Liebe.
Eine wahrlich abgedroschene Phrase zum Thema zwischenmenschlicher Körperkontakt. Sex also! Und ausgerechnet ein Franzose kommt jetzt daher und will das Thema ein ganzes Album lang thematisieren? Natürlich, und zwar auf seine Art und Weise. Das Album "Sexuality" des französischen Singer/Songwriters Sebastien Tellier ist die Wiedergeburt von alten Weichzeichner-Erotik-Filmchen Marke David Hamilton, gemischt mit Sounds von cheapen Synthies. Im Hier und Jetzt beginnt das ganz neu zu glänzen.
Tellier ist keiner, der sich etwas sagen lässt. Die Leute wollten ein nächstes "La Ritournelle" von ihm, erwarteten sich Streichersätze und Pianomelodien. Doch er hat die Nase voll von solchen Schablonen und packt bratzige 80er Jahre Synthesizer aus, um ihnen die ganze Seele zu entlocken.
Nebel über dem See
Bereits im März erschien sein Album "Sexuality", welches nun von der Plattenfirma noch einmal einen kräftigen Promotionschub bekommen hat. Zu Recht. Eines der besten Synthie-Pop Alben ever ist hier nämlich am Start und es darf nicht in der Vielzahl an Releases untergehen.
Es ist eine ganz neue Facette des pulsierenden 80er Hypes. Nicht schrill, bunt oder quiekend sondern mit Soul. Snoop Dog machte es nicht anders. Doch im Gegensatz zur Nummer "Sexual Seduction" des Hip Hop Meisters, bekommt man hier die geballte Ladung Sound eines Musikers der nicht produziert, sondern komponiert. Einer, der weiss was er tut und man deshalb auch kaum Querverweise benötigt, um seine Musik zu umschreiben. Natürlich sind auf Grund der Sounds direkte Vergleiche mit 80er Bands möglich. Devo würde mir da einfallen aber natürlich auch Jean Michel Jarre. Tellier schafft aber auch Anekdoten aus den frühen Jahren des Cosmic Disco Sounds einzubinden. Eine Disco am Gardasee war seinerzeit Ausgangspunkt für einen Stil. Das passt mir persönlich ganz gut ins musikalische Konzept von "Sexuality". Wenn in den frühen Morgenstunden der Nebel über den See schleicht, genau dann in ein Treetboot und hinaus. Mit Tellier im Ohr.
sprechende Vaginas
Tellier, der Komponist hat für die Produktion auch dieses mal das richtige Händchen bewiesen. Wie immer. Nach Phillipe Zdar (Cassius) beim Album "Politics", ergänzte hier der stillere Teil des Duos Daft Punk, Guy Manuel de Homen Christo, mit einer ganz und gar perfekten Soundästhetik. Ein Roboter und ein verliebter, in seiner eigenen Teenagerphase wiedererwachter Künstler. Auch das passt mir ganz gut ins Bild.
Weshalb die erste Singleauskopplung "Divine", die Tellier auch beim heurigen SongContest für Frankreich sang, nicht die Charts anführt, bleibt mir ein Rätsel. Eine fröhlich dahinschunkelnde Ode an die göttliche Unbekannte.
"Sexuality" ist ein Gesamtkunstwerk geworden. Eine Menge Funk mit unglaublichem Kitsch vereint zu einem der sensationellsten Alben seit langem.
Das fängt beim Plattencover an. Eine nackter Frauenkörper in einer irrsinnig grieseligen Auflösung. Zwischen den Brüsten, Sebastien Tellier auf einem Pferd. Der Grafiker Manu Cossu ließ sich von der surrealen Sexkomödie "Calmos" aus dem Jahre 1976 inspirieren, in dem eine Vagina zu einem Mann auf einem Pferd spricht. Auch das passt wieder perfekt ins Bild. Nur gesprochen wird hier nichts, gesungen wird über die Liebe.
"Sexuality"
ein Stöhnen
Würde der 80er Herzschmerz Kultfilm "La Boum" heute neu verfilmt werden, dieses Album würde einen mehr als formidablen Soundtrack abgeben. Wenn sich der Junge von hinten nähert und Vic seine Kopfhörer aufsetzt, aus denen würde dann jedoch nicht das schnulzige "Reality" ertönen, sondern Telliers "Look".
Ein schöner Gedanke. Wobei das heute mit Ohrstöpseln und mp3-Player sicherlich nicht annähernd so schön aussehen würde, als seinerzeit mit den schaumigen orangefarbenen Kopfhörern für den Unisef Walkman.
Und wer sollte denn auch Sophie Marceau ersetzen?
Sebastien Tellier veranstaltet auf jeden Fall seine ganz eigene Boum. Für jede Laune. Lässt weinen bei "Pomme", lässt lachen bei "Kilometer", lässt tanzen bei "Divine". Ich denke, dass Serge Gainsbourg jetzt genau so eine Musik machen würde. Ein sanftes Stöhnen hie und da und man weiss sofort, wie einfach die Liebe ist. So unsagbar einfach. Bis sie vorbei ist!