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Wien | 8.12.2002 | 13:48 
Gestalten und Gestaltung. Büchereien und andere Sammelsurien.

Pamela, BorisJordan, Zachbauer

 
 
Wladimir Kaminer
  Zita Bereuter
 
 
 
  Wir planten dann auch erst einmal keine große Reise, wir waren froh, überhaupt ein Dokument bekommen zu haben. Es erlaubte uns immerhin, leise in unserem Ausländerwohnheim in Marzahn zu sitzen und die deutschen Biersorten kennen zu lernen. Man kann nicht alles auf einmal haben. Mir bereitete schon allein die Tatsache, dass ich nun nicht mehr in der Sowjetunion, sondern ganz woanders war, große Freude.
 
 
 
Wladimir Kaminer
  1990 emigrierte der damals 23jährige Kaminer nach Ost-Berlin.
"Es war eine spontane Entscheidung. Außerdem war die Emigration nach Deutschland viel leichter als nach Amerika: Die Fahrkarte kostete nur 96 Rubel, und für Ostberlin brauchte man kein Visum."

Gemeinsam mit seinen Freunden Andrej und Mischa wohnt er mit hunderten Vietnamesen, Afrikanern und Russischen Emigranten in einem Flüchtlingsheim in Berlin Marzahn.
"Die ersten Berliner, die wir kennen lernten, waren Zigeuner und Vietnamesen. Wir wurden schnell Freunde."

Irgendwann bezieht er eine kleine Wohnung am Prenzlauer Berg, irgendwann fährt er nach Frankreich, irgendwann spielt er im Film Stalingrad mit, irgendwann ist er beim SFB4 Radio MultiKulti und irgendwann lernt er seine Frau kennen. Dazwischen lernt er Deutsch und trifft absurde Menschen - vorwiegend Künstler - mit noch absurderen Geschichten, befindet sich urplötzlich in komischen Alltagssituationen und erzählt wunderbare Schwänke aus seiner russischen Heimat.

 Wladimir Kaminer absolvierte eine Ausbildung zum Toningenieur für Theater und Rundfunk und studierte anschließend Dramaturgie am Moskauer Theaterinstitut.
 
 
  Weil sich all das am besten unter Gleichgesinnten erzählen lässt, veranstaltet Wladimir Kaminer immer wieder mal die "Russendisko". Mit viel Wodka und noch mehr russischem Schellack im wundernetten Kaffee Burger.

Damit auch Leute außerhalb des Einzugsbereichs vom Kaffee Burger seinen Gedanken beiwohnen können, hat Wladimir die Kurzgeschichten in Buchform parat. (siehe weiter unten)

Heuer ist sein erster Roman erschienen:

 
 
Reise nach Trulala
  In gewohnter Manier beschreibt Kaminer Fernweh und verschiedenste Reisen, Reisen, die er selbst unternommen hat, Reisen seiner Freunde und Reisen, die nie stattgefunden haben.
Vor allem aber Reisen, das lässt sich schon durch das Inhaltsverzeichnis erahnen, die nicht nach Plan verlaufen: Verfehltes Prais, Verdeckung Amerikas, Verschollen auf der Krim, Verlaufen in Dänemark, Verdorben in Sibirien.
Trulala ist der Ort auf der Krim, an dem der Sohn von Josef Beuys leben soll.
Das Flugzeug von Josef Beuys wurde während des Krieges abgeschossen und der schwer verwundete Soldat von Einheimischen liebevoll - mit viel Filz - gepflegt.
Nicht nur hier versteht es Kaminer wunderbarst, geschichtliche Fakten bzw. die Realität ad absurdum zu führen, sodass man sich nicht mehr sicher ist, was von ihm erfunden wurde.
Sehr witzig auch die Vorstellung, dass mitten in der russischen Steppe "Paris" nachgebaut wurde, natürlich von russisch sprechenden Russen bewohnt. Und dieses "Paris" wurde dann im Herbst zu "London" umgebaut, die gleichen Russen haben dann eben Englisch gesprochen. Sinn und Zweck - verdiente Russen dürfen so Urlaub in London oder Paris machen. (Und kehren dann natürlich gerne aus dem langweiligen Westen wieder in ihr Russland zurück...)

Verschiedene Personen und Anekdoten kennt man bereits aus seinen vorherigen Büchern. Der Erzählstil ist hingegen manchmal etwas ausschweifender, wie auch die Sätze verschachtelter werden. Kaminer hat diese Reiseberichte zu einer langen Erzählung verwoben, wobei die Übergänge manchmal etwas krampfhaft wirken. Dennoch wird man immer wieder über die russische Lebens- und Denkart lachen.

 Manhattan, München 2002
 
 
Wer lieber Kurzgeschichten liest...
  ... findet vielleicht eher Gefallen an den folgenden Büchern von Kaminer und seinen Freunden:
 
 
 
Russendisko
  Das großartige Debut von Wladimir Kaminer. Seien es die Damen vom russischen Telefonsex, die Vietnamesischen Zigarettenverkäufer, unmotivierte Wohnungsbesetzer oder der Columbo vom Prenzlauer Berg: sie alle meistern ihren bizarren Alltag in Berlin und Kaminer ist mit seiner großartigen Beobachtungsgabe involviert. In fünfzig Kurzgeschichten erzählt Kaminier von absurden Überlebenskämpfen in Berlin.

 Goldmann Verlag, München 2000
 
 
Schönhauser Allee
  Die (logische) Fortsetzung der Russendisko. Wieder erleben in diesen Kurzgeschichten die Andrejs, Sergejs und Ivans den Alltag in einer grotesken Form.
Wie die "Russendikso" eignet sich auch "Schönhauser Allee" ideal zum "Zwischendurch-lesen". Empfohlen für U-Bahnfahrten über drei Stationen oder für die Strecke Bregenz Vorkloster - Dornbirn Haselstauden.

 Goldmann Verlag, München, 2001
 
 
Frische Goldjungs
  Jaja, das sind sie alle: Ahne, Jochen Schmidt, Jakob Hein, Bov Bjerg, Andreas Gläser, Robert Naumann, Falko Hennig, Andreas Krenzke, Tobias Herre und natürlich Wladimir Kaminer. Allesamt Berliner Autoren: Die Zukunft der deutschen Literatur, komplett versammelt und handlich zwischen zwei Buchdeckel gepackt. ... Ein schönes Buch ist es. Nicht besonders dick, aber immerhin!
Schöner als Kaminer (der gleichzeitig auch der Herausgeber ist) das selbst im Vorwort beschreibt, geht's wohl kaum...

 Goldmann, München 2001
 
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